Totentanz im Monsterland
Kapitel Eins
Es gibt eine grundlegende Tatsache, die jeder Zauberer akzeptieren muß: Die Magie ist keine beständige Wissenschaft. Ganz im Gegenteil ist die Magie dauerndem Wandel unterworfen, und der geschickte Magier wird wissen, daß er sich mit dem Gegenstand seiner Bemühungen wandeln muß. Magie ist nie ein für allemal abgeschlossen. Sie entwickelt sich unablässig weiter, zeigt sich in permanent neuem Gewand, läßt sich unmöglich in Kategorien einteilen oder in wenigen Sätzen zusammenfassen. Ein Magieausübender darf einen Spruch nie für abgeschlossen halten, bevor er oder sie sich nicht von dem Ergebnis überzeugt hat. Er oder sie muß sich auch darüber im klaren sein, daß jeder Spruch einen Gegenspruch hat, und daß in einer Welt, in der die Magie herrscht, alles möglich ist. Magieausübung ist ein lebensfüllender Job, und bald wird der Zauberer entdecken, daß alle Sprüche und Beschwörungen zu einem komplexen Geflecht zusammenwachsen, das weit über die lächerlichen Ziele eines einzelnen Magieausübenden hinausgeht, um sich mit allen Sprüchen und Beschwörungen, die jemals in der Vergangenheit von einem Magier gewoben worden sind oder jemals in der Zukunft von einem Magier gewebt werden, zu einem ständig sich wandelnden Geflecht vereinen, das weit über das Verständnis der Sterblichen hinausreicht, eine Kraft, die auch der mächtigste Magier nie vollständig begreifen zu dürfen hoffen kann. Oder die er jemals als solche akzeptieren wird.
Das ist die Magie in der Nußschale. Und das ist mein Abschlußwort in dieser Sache. Das glaube ich jedenfalls im Moment.
aus: – SPRÜCHE, DIE DEN MAGIER HASSEN, UND MAGIER, DIE DIESE SPRÜCHE LIEBEN, dritte Ausgabe; von Ebenezum, dem größten Magier der Westlichen Königreiche.
»Wuntvor?«
Ich blickte auf und bemerkte erst jetzt, daß jemand mich beim Namen rief – und dieser Tätigkeit vermutlich schon seit einiger Zeit nachging.
»Wuntvor?« wiederholte die Stimme der jungen Frau. Es war die Stimme meiner Geliebten, der Hexe Norei. »Möchtest du reden?«
Ich zuckte die Schultern. War mir egal. Nach dem, was mir soeben widerfahren war, konnte mich nichts mehr fesseln. Mein Meister, der größte Magier der Westlichen Königreiche, war dahin. Er war von Tod geholt worden. Und, schlimmer noch, das Gespenst hatte ihn geholt, weil er meiner nicht hatte habhaftig werden können – und mich wollte Tod wegen dieses Unsinns mit dem Ewigen Lehrling, der ständig in einer neuen lehrlingshaften Form reinkarniert wird, der ständig herumstümpern und in alle Ewigkeit Helden bei ihrer Aufgabe helfen würde – und der deshalb für immer und ewig Tods Zugriff entrückt sein würde. Und aus eben diesem Grunde – meiner Unerreichbarkeit für ein Wesen, zu dem am Ende jedes sterbliche Geschöpf einging – verlangte es Tod auch so heftig nach mir. Das gräßliche Schemen gierte nach meiner Seele und würde alles tun, um sie zu bekommen.
Norei hockte sich an meine Seite, so daß ihr Gesicht sich auf einer Höhe mit dem meinen befand. Sie ergriff mein Kinn mit ihrer kühlen zarten Hand und drehte meinen Kopf sachte in ihre Richtung.
»Willst du für den Rest deines Lebens hier sitzen bleiben?«
Als ich nicht sofort antwortete, zog sie ihre Hand wieder zurück. Ich blinzelte und stierte auf den Dreck und das Gras zu meinen Füßen, dann in Noreis angespannt blickendes Gesicht. Ich seufzte. Ich zuckte mit den Schultern. Tod hatte meinen Meister geholt. Was zählte noch?
Norei pfiff leise. »Alea hatte recht.«
»Alea?« murmelte ich. War Alea hiergewesen?
Norei nickte, mehr zu sich selbst als in meine Richtung. »Sie erzählte mir, daß sie dich umarmt hätte, daß sie ihre Wange zärtlich an der deinen gerieben hätte, daß sie dir alles, alles versprochen hätte, um dich aus dieser düsteren Stimmung zu reißen – und daß du all diesen Zärtlichkeiten und süßen Versprechungen nicht das geringste Interesse entgegengebracht hättest. Ich habe ihr nicht geglaubt. Bis jetzt.«
Alea hatte all das getan? Ich erinnerte mich an keine Umarmung, und Alea mit ihren wundervollen blonden Haaren und ihrer schlanken, doch wohlgerundeten Schauspielerinnenfigur war durchaus eine Person, an deren Umarmung man sich erinnern würde. Und ihre Wange hatte sie auch an meiner gerieben? Und sie hatte alles (alles?) versprochen?
Alles? Nun, nicht, daß ich auch nur irgend etwas gewollt hätte, denn schließlich war ich ja meiner Geliebten in Treue versprochen
Weitere Kostenlose Bücher