Merlin und die Fluegel der Freiheit
VORWORT DES AUTORS
V or fast einem Jahrzehnt hatte ich einen Traum – verblüffend lebhaft, zutiefst geheimnisvoll. Darin wurde ein fast ertrunkener
Junge an eine fremde, zerklüftete Küste gespült. Er hatte keinerlei Erinnerung an seine Kindheit, wusste noch nicht einmal
mehr seinen Namen. Und gewiss ahnte er nichts von dem wunderbaren Schicksal, das ihn erwartete.
So wenig wie ich, um ehrlich zu sein. Denn mir war noch nicht klar, dass dieser einsame, durchnässte Junge tatsächlich der
Zauberer Merlin war. Er hatte nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem legendären Mentor von König Artus, mit dem Hexer von
Camelot, dem größten Magier aller Zeiten. Nein, diese Entdeckung sollte die erste von Merlins vielen Überraschungen sein.
Aber nur die erste. Wer die vorausgegangenen vier Bände dieser Saga gelesen hat, weiß bereits, dass dieser Zauberer voller
Überraschungen ist. Er verblüffte mich, seinen Skribenten, mit der wahren Natur seiner Sichtweise, seiner Familie und seines
Erbes. Danach machte er uns alle mit der geheimnisvollen Insel Fincayra bekannt, von der nur die alten keltischen Poeten wussten;
sie nannten sie eine Insel unter den Wellen, eine Brücke zwischen der sterblichen Erde und der unsterblichen Anderswelt.
Fincayra ist Merlins Heimat geworden. Dort sind die Menschen, die er am meisten liebt: Rhia, Shim, Elen, Cairpré und Hallia,
die Hirschfrau, die ihn gelehrt hat wie einHirsch zu springen und nicht nur mit den Ohren, sondern mit den Knochen zu hören. Der tapfere Falke Verdruss und die mächtigen
Geister Dagda und Rhita Gawr sind vielleicht nicht physisch gegenwärtig, aber nie weit entfernt.
Diese legendäre Insel wurde am besten von Merlins Mutter beschrieben; sie sah Fincayra mit den Augen einer Druidin als etwas
Ähnliches wie den Nebel, der um seine Küsten wirbelt. Sie nannte die Insel einen
Zwischenort.
Wie der Nebel – der weder ganz Wasser noch ganz Luft ist, etwas von beidem und doch etwas völlig anderes – ist Fincayra sterblich
und unsterblich, dunkel und hell, gefährdet und unverwüstlich. Wie gefährdet es in Wahrheit ist, wird der junge Merlin in
diesem Buch entdecken, das die
Merlin-Saga
beschließt.
In diesem Band entdeckt Merlin auch einige neue Aspekte seines eigenen Wesens – Aspekte, die ebenfalls in einem Zwischenbereich liegen. Denn der Zauberer, der er werden soll, ist nicht wirklich Mensch,
aber auch nicht wirklich Gott; nicht ganz beschattet, aber auch nicht ganz leuchtend. Wenn er der Mentor von Artus wird, kommt
seine größte Weisheit aus seiner besonderen Menschlichkeit, seinem Verständnis für unsere Gefährdungen wie für unsere größten
Möglichkeiten. Und seine stärkste Kraft stammt von jenen schwer bestimmbaren Orten, an denen sich Natur und Kultur, Männliches
und Weibliches, Bewusstheit und Träume begegnen.
Der Reichtum von Merlins Persönlichkeit rührt nach meiner Überzeugung von diesen besonderen Eigenschaften her. Und noch etwas:
Sie machen ihn zum perfekten Mentor für einen jungen und idealistischen König, einen König, dessen Vision von einer gerechten
Gesellschaft inseinem eigenen Reich scheitern sollte, sich aber im Reich der Herzen festsetzte – so fest, dass Merlins Schüler letzten Endes
als der frühere und zukünftige König gefeiert werden würde. Kein Wunder, dass Merlin selbst in Erzählungen, die fünfzehn Jahrhunderte
zurückreichen, lange als Brückenbauer, als Vereiniger, als Zauberer vieler Welten und vieler Zeiten gesehen worden ist.
Die Reichweite seines Brückenbaus ist erstaunlich. Derselbe Merlin, der einen großen Herrscher berät, kann im nächsten Moment
Rat bei einem heimatlosen Wanderer suchen – oder bei einem alten, grünäugigen Wolf, der über die Berge streift. Derselbe Merlin,
der seine Gefährten drängt, den heiligen Gral mit seiner reichen christlichen Symbolik zu suchen, spricht häufig als Druidenmeister
mit den Geistern von Flüssen und Bäumen. Derselbe Merlin, der in überlieferten Sagen von einem Dämon gezeugt wurde, hatte
zugleich eine Beinahe-Heilige als Mutter. Am beachtlichsten aber: Derselbe Merlin, der vor Hunderten und Aberhunderten Jahren
zu so vielen Erzählungen anregte, bleibt in unserem Leben heute ganz gegenwärtig. Beim Anbruch des einundzwanzigsten Jahrhunderts
ist er lebendiger denn je.
Dieser halb ertrunkene Junge, in der ersten Szene von
Merlin – Wie alles begann
vom Meer ausgespuckt, konnte sein
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