Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Mutter fragen ließ.
Da nahm sich der Landsmann zusammen und sagte »Ich will es Ihnen nicht verhehlen, Herr Lee, daß Ihre Mutter sehr Ihrer Rückkunft bedarf, und ich würde Ihnen raten und fordere Sie sogar auf, so bald als immer möglich heimzukommen; denn während die brave Frau den tiefsten Kummer und die Sehnsucht nach Ihnen zu verbergen sucht, sehen wir wohl, wie sie sich darin aufzehrt und Tag und Nacht nichts anderes denkt. Soviel ich jetzo sehe, wenn Sie meine Freiheit nicht übelnehmen wollen, steht es nicht zum besten mit Ihnen, und erachte ich, daß Sie in dem Stadium sind, wo die Herren Künstler allerlei durchmachen müssen, um endlich mit Ehre und stattlichem Ansehen aus der Not hervorzugehen. Unsereines hat wohl auch allerlei Strapazen auf der Wanderschaft durchzumachen oder als Anfänger harte Zeit zu erleben; allein mit der Arbeit können wir, wenn wir nur wollen, uns jederzeit helfen, und unsere Hände sind immer so gut wie bares Geld oder gebackenes Brot und für jede Stunde eine unmittelbare Selbsthilfe, während es bei Ihnen dazu noch gutes Glück und allerlei Unerhörtes braucht, wovon ich nichts verstehe.
Vorlaute und unverständige Weibsen und auch ebensolche Männer in unserer Stadt, wo es ruchbar geworden, daß Ihre Mutter große Summen an Sie gewendet und ihr eigenes Auskommen dadurch bedeutend geschmälert hat, haben es sich beikommen lassen, dieselbe hart zu tadeln hinter ihrem Rücken und auch ihr ins Gesicht ungefragt zu sagen, daß sie unrecht getan und sowohl ihrem Sohne schlecht gedient als durch solche unzukömmliche Opfer sich selbst überhoben habe. Jedermann, der Ihre Mutter kennt, weiß, daß alles eher als dieses der Fall ist, aber das unverständige Geschwätz hat sie vollends eingeschüchtert, daß sie fast mit niemand zusammenkommt und so in Einsamkeit und harter Selbstverleugnung dahinlebt. Obgleich die Nachbaren ihr manche Dienste anbieten, nimmt sie nichts an, und die Art, wie sie dies tut und wie sie ihre Sachen besorgt, hat, soviel man davon sehen kann, etwas höchst Seltsames und Schwermütigmachendes für uns Zuschauer. Sie sitzt den ganzen Tag am Fenster und spinnt, sie spinnt jahraus und – ein, als ob sie zwölf Töchter auszusteuern hätte, und zwar, wie sie sagt, damit doch mittlerweile etwas angesammelt würde und, da sie nichts anderes ansammeln könne, wenigstens ihr Sohn für sein Leben lang und für sein ganzes Haus genug Leinwand finde. Wie es scheint, glaubt sie durch diesen Vorrat weißen Tuches, das sie jedes Jahr weben läßt, Ihr Glück herbeizulocken, gleichsam wie in ein aufgespanntes Netz, damit es durch einen tüchtigen Hausstand ausgefüllt werde, oder gleichsam wie die Gelehrten und Schriftsteller durch ein Buch weißes Papier gereizt und veranlaßt werden sollen, ein gutes Werk darauf zu schreiben, oder die Maler durch eine ausgespannte Leinwand, ein schönes Stück Leben darauf zu malen. Zuweilen stützt sie ausruhend den Kopf auf die Hand und staunt unverwandt in das Land hinaus, über die Dächer weg oder in die Wolken; wenn es aber dunkelt, so läßt sie das Rad stillstehen und bleibt so im Dunkeln sitzen, ohne Licht anzuzünden, und wenn der Mond oder ein fremder Lichtstrahl auf ihr Fenster fällt, so kann man alsdann unfehlbar ihre Gestalt in demselben sehen, wie sie immer gleich ins Weite hinausschaut.
Seit Jahren geht sie in demselben braunen Kleide, welches sich gar nicht abzutragen scheint, über die Straße und hat sich streng von aller, auch der einfachsten Zier entblößt, daß es unsere Weiber ärgert, welche gewöhnt sind, sich mit der Zeit immer reicher zu kleiden anstatt schlichter, und darnach ihr Gedeihen berechnen. Wahrhaft melancholisch aber ist es anzusehen, wenn sie zuweilen ihre Betten sonnt; anstatt sie mit Hilfe anderer auf unsern geräumigen Platz hinzutragen, wo der große Brunnen steht, schleppt sie dieselben allein auf das hohe schwarze Dach Eures Hauses, breitet sie dort an der Sonnenseite aus, geht emsig auf dem steilen Dache umher, ohne Schuhe zwar, aber bis an den Rand hin, klopft die Stücke aus, kehrt sie, schüttelt sie und hantiert dermaßen seelenallein in dieser schwindligen Höhe unter dem offenen Himmel, daß es höchst verwegen und sonderbar anzusehen ist, zumal wenn sie, einen Augenblick innehaltend, die Hand über die Augen hält und da hoch oben in der Sonne stehend in die weite Ferne hinauszieht. Ich konnte es einmal nicht länger ansehen von meinem Hofe aus, wo ich eben einen Wagen
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