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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Brigitte, sie solle Euch von Papas Wein geben!« rief sie dem Küster noch nach. Dann zog sie tüchtig an einer Klingelschnur, worauf ein ländlich gekleidetes feines Mädchen herbeigelaufen kam, welches des Gärtners Tochter war und den essenden Heinrich neugierig betrachtete; denn dieser hatte sich sehr andächtig über ein Stück kalten Rehbratens hergemacht, wunderte sich jedoch bald, daß er gar nicht soviel zu essen vermochte, als er zuerst gedacht, und er legte bald die zierlichen Eßwerkzeuge hin und vermochte jetzt erst recht nicht mehr zu essen, als er bemerkte, daß es wohl diejenigen des Fräuleins selbst waren, die man ihm im ersten Eifer vorgelegt hatte. Er fand sich in einer sonderbaren Lage und wünschte doch lieber wieder auf dem nächtlichen Wege zu sein, um frei und frank seinem Lande zuzuschreiben. Denn es schnürte ihm irgendeine Befangenheit das Herz zu, und es war ihm, als ob er besser getan hätte, alles darauf ankommen zu lassen und unter Gottes freiem Himmel zu bleiben. Er nahm die kleine silberne Gabel, welche fast noch eine Kindergabel war und schon viele Jahre gebraucht schien, noch einmal in die Hand und betrachtete sie, und als er sah, daß der Name »Dorothea« höchst sauber in kleiner gotischer Schrift darauf graviert war, legte er das Instrumentchen so schleunig wieder hin, als ob es ihn gestochen hätte, und es erwachte plötzlich ein heftiger Stolz in ihm, wenn er sich dachte, daß man nur im geringsten etwa meinen könnte, er hätte sich etwas zugute darauf getan, mit dem allerliebsten Leibbesteck dieses schönen und vornehmen Fräuleins zu essen, und zwar so wie gestohlen, durch die Gunst eines Versehens. Sie hieß also Dorothea, und die Gärtnerstochter nannte sie auch soeben mit diesem Namen, während sie selbst Apollönchen genannt wurde. Die beiden Mädchen hatten sich an einen großen viereckigen Tisch zurückgezogen, der in der Mitte des Saales stand, und sprachen dort mit halblauter Stimme miteinander, als ob sonst niemand zugegen wäre; denn es schien deutlich, daß Dorothea einstweilen das Ihrige getan glaubte und sich einer gemessenen Zurückhaltung ergab; aber in derselben war sie unbefangen und anmutig, daß Heinrich nur in um so größere Verlegenheit geriet und er, der eben noch kaum seine Glieder zusammenhalten konnte, alsogleich von der Opposition besessen ward, in welche ein unverdorbener junger Mensch solchen Erscheinungen gegenüber gerät, als müßte er sich seiner Haut wehren, wo niemand denkt, ihn in Unruhe zu versetzen. Doch ließ er sich nichts ansehen, und da der Wein inzwischen gekommen war und Apollönchen ihm eingeschenkt hatte, wobei sie ihn im Fluge und mit kritischen Äugelein musterte, trank er binnen kurzem ein großes Glas voll aus und sah nun dem Treiben der Frauenzimmer zu. Die Gärtnerstochter stand bei der Herrntochter, welche am Tische saß, und indem sie kurzweilig und vertraulich plauderten, half jene dieser in ihrer Hantierung und reichte ihr, was sie bedurfte. Der große Tisch war ganz mit Gegenständen bedeckt, worunter vorzüglich allerlei Gefäße und Gläser hervorragten, welche sämtlich mit Blumen angefüllt waren, die im Wasser standen. Meistens waren es Spätrosen, und die Sträuße, große und kleine, befanden sich im verschiedensten Zustande, so daß man sah, daß es die Ergebnisse vieler Tage waren und auch der älteste Strauß noch mit Liebe erhalten und gepflegt wurde, so hinfällig er auch aussah. Da Heinrich sah, daß die heutigen Blumen vom Kirchhofe sogleich in ein Glas gestellt worden, so vermutete er, daß alle Blumen von den Gräbern herrührten, und dachte sich, die Schöne müsse eine liebevolle Freundin und Pflegerin der Toten sein, was ihr um so mehr Reiz verlieh, als sie eine Gräfin und die draußen Liegenden sämtlich Bauern und Untertanen waren. Außerdem lagen auf dem Tische noch eine Menge späte Feldblümchen, verwelkt oder noch leidlich frisch, und wunderschöne purpurrote oder goldene Baumblätter, allerlei Prachtexemplare, wie sie jetzt von den Bäumen fielen, und noch andere solche Herbstputzsachen aus Wald und Garten, welche über den ganzen Tisch gestreut waren, so daß die Dame für die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigte, fortwährend Raum schaffen und das bunte Blätterwerk mit liebenswürdigem Unwillen wegstreifen mußte. Vor ihr lag eine große offene Mappe, welche ganz mit Bildern und Zeichnungen gefüllt schien, welche auf stattliche Bogen grauen Papieres zu heften ihre Arbeit war,

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