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Abgehauen

Abgehauen

Titel: Abgehauen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krug
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ABGEHAUEN
     
    Ein Mitschnitt
    und
    Ein Tagebuch
     
     
     
    ECON
     
     
    Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme
    Krug, Manfred:
    Abgehauen: Ein Mitschnitt und Ein Tagebuch /
    Manfred Krug. 9. Aufl. – Düsseldorf: ECON, 1996
    ISBN 3-430-15723-4
     
    Auflage 1996
    ECON Verlag GmbH, Düsseldorf.
    Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film. Funk
    Und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe,
    Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder
    Einspeicherung Rückgewinnung in Daten-
    Verarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.
    Lektorat: Krista Maria Schädlich
    Gesetzt aus der Melior, Linotype
    Satz: Heinrich Fanslau GmbH, Düsseldorf
    Druck und Bindearbeiten: Bercker, Kevelaer
    Printed in Germany
    ISBN 3-430-15723-4
     
    Mitschnitt
     
    Ich gehe auf meinen Marmorlokus und weiß nicht, was ich zuerst machen soll. Zuerst muß ich mich erbrechen, dann Zähneputzen, dann die anderen Sachen, dann einen Schluck Korn aus dem Flachmann, und dann habe ich immer noch Angst.
    Die Türflügel zum getäfelten Zimmer sind abgeschlossen. Das Mikrofon kann man nicht sehen. Es liegt unten, hinter dem Spalt zwischen Schiebetür und Fußboden und soll in das Nachbarzimmer hineinhorchen, wo meine Frau Ottilie hastig den langen Eichentisch gedeckt hat. Es gibt Schmalzstullen, Kaffee und Sprudelwasser. Ich werde was ganz Verbotenes machen. Ich werde ein Gespräch zwischen einem Dutzend Künstlern auf der einen Seite und drei »hochgestellten Persönlichkeiten« auf der anderen Seite auf Tonband aufzeichnen. Und das findet in der Deutschen Demokratischen Republik in einem Privathaus statt, in meinem Privathaus. Das hat es noch nicht gegeben. Ein historischer Nachmittag. Ich stelle mir vor, wie das aussieht, wenn’s schiefgeht. Der Mann aus dem Politbüro hat vielleicht einen von seinen Jungs bei sich, einen V-förmigen Lächler mit kantiger Kinnlade und einer Beule im Jackett, und der sagt ganz freundlich, er will bloß mal einen Blick hinter die Schiebetür werfen, nichts Schlimmes, nur der Ordnung halber, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, ihr wißt schon. Dann kann ich mich einsargen lassen. Aber die Leute, die kommen werden, müssen ohnehin damit rechnen, daß nichts von dem verlorengeht, was sie sagen, daß ihre Worte wortwörtlich überliefert werden. Ich laß mich hängen, wenn von den dreien auf der Regierungsseite nicht einer eine Wanze unterm Revers stecken hat. Von dort wird jedes Wort in eins der Autos gesendet, von denen wir umzingelt sein werden, und dort werden sie es aufzeichnen.
    Deshalb will ich um die Namen kein großes Geschiß machen. Sie sind alle Figuren der Zeitgeschichte, die mit der Zeit vergehen. Am ehesten vergehen die Mimen, denen die Nachwelt und so weiter.
    Dichter halten sich länger. Nicht weil ein großer Teil ihrer Werke zum Vergessen zu schade wäre, sondern weil man sie platzsparend aufbewahren kann. In 1000 Jahren wird man Hitler vielleicht nur noch als den Verfasser von »Mein Kampf« kennen, und kaum jemand erinnert sich, daß er eigentlich als Monster Furore gemacht hat. Schauspieler haben Respekt vor dem geschriebenen Wort. Zwar verbringen sie ihr Leben mit dem Aufsagen von Texten, meistens schlechten, aber verbessern dürfen sie sie nicht. Shakespeare, Goldoni und Moliere haben sich davon freigemacht und zum eigenen Gebrauch schöne Sachen geschrieben. Deshalb kennt man sie noch. Sonst wüßte kein Mensch mehr, daß sie allesamt verzweifelte Schauspieler waren, denen die Nachwelt und so weiter. Ich schreibe das jetzt, weil ich will, daß von mir was übrigbleibt und daß ich einmal zu denen gehöre, die etwas aufbewahrt haben. Das Kind ist gezeugt, der Baum gepflanzt, das Haus gebaut. Vielleicht gibt es einmal einen Forscher, der sich haargenau für die Deutsche Demokratische Republik von 1976/1977 interessiert, und da wieder nur für die Unruhe, von der damals so viele Künstlerseelen befallen waren. Ich bin glücklich bei dem Gedanken, daß ich mir diesen Nachgeborenen zum Freund machen kann.
    Warum ist so viel über Biermann geredet worden? Und ich werde noch längst nicht der letzte sein. Weil er dem Sozialismus und dem ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat auf deutschem Boden einen enormen Schlag versetzt hat, indem er sich von diesem hat rausschmeißen lassen, das muß man sagen, auch wenn letzten Endes der Wodka in der Sowjetunion die Hauptarbeit geleistet hat. Deshalb wird Biermann nicht nur in seinem Dichtwerk überdauern, der kann glatt ins Geschichtsbuch kommen, wenn

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