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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Vorübergehendste nicht vergißt und jedem Menschenantlitz, so ihr einmal begegnet ist, ein freundliches unverhohlenes Gedächtnis entgegenbringt! Diese höfliche und aufmerksame Gemütsgegenwart erwärmte und belebte den Durchnäßten sichtlich und gab ihm einen guten Mut zu sich selber, da ein so preiswertes und zierbegabtes Gewächs seine Person der Wiedererkennung würdigte.
    »O sicher erinnere ich mich«, sagte er errötend, »aber ich würde Sie doch nicht wiedererkannt haben; denn Sie sind soviel größer geworden!«
    Bei diesen Worten errötete sie auch ein weniges, aber sehr unverfänglich und nur insofern, als sie fühlte, welch einen rosigen Glanz die Erwähnung der märzlich flimmernden und schimmernden Mädchenflegeljahre über eine Großgewordene verbreitet, die man lange nicht gesehen. Dann sagte sie aber mit herzlicher Bekümmernis »Ach Gott! Sie müssen also nun auf so traurige Weise wieder in Ihre Heimat kehren?«
    »O das hat gar nichts zu sagen«, erwiderte Heinrich lachend, »ich bin bereits auf dem Wege wieder ganz munter geworden und habe es nun gut vor, wenn ich nur erst dort bin!«
    »Kommen Sie nun jedenfalls mit mir«, sagte das Fräulein, »mein Papa ist den ganzen Tag weggewesen, und bis er nach Hause kommt, will ich es über mich nehmen und Ihnen ein vorläufiges Unterkommen anbieten in meinem Gartenhause; ich bin versichert, daß er sich wohl Ihrer erinnert und Sie nicht fortlassen wird diese Nacht! Kommen Sie nur, gleich unter diesen Bäumen treibe ich so den ganzen Sommer und Herbst mein Wesen, und Ihr, Küster, folgt uns als dienstbare Begleitung, zur Strafe, daß Ihr diesen Herrn so ungastlich behandelt!«
    Heinrich war zu schwach, als daß er sich hätte bedenken können, ob er der Einladung Folge leisten wolle oder nicht; auch machte dieselbe einen so herzlichen und unbefangenen Eindruck auf ihn, daß er der Schönen gern folgte und, so rasch er noch vermochte, neben ihr hinmarschierte, sich einzig nach einer Ruhestelle und etwas Wärme sehnend, indessen der Küster ganz verblüfft und mißtrauisch hinter dem Paare herging. Es hatte endlich ganz zu regnen aufgehört, der feste Boden unter den großen alten Bäumen war fast gänzlich trocken, und in das prächtige Dunkel, in dem sie jetzt gingen, leuchteten nur zwischen den Stämmen der feurige Abendstreif und im Hintergrunde die erhellten Fenster eines Park-oder Gartenhauses. In diesem befand sich ein kleiner Saal, der nur durch eine Glastür vom Parke getrennt war, und in dem Saale brannte ein helles Kaminfeuer; als sie eingetreten, rückte das Frauenzimmer einen Stuhl zum Feuer und forderte Heinrich auf, sich auszuruhen. Ohne Verzug setzte er sich und schämte sich noch eine Weile seines schlechten Aussehens; die junge Dame schien das zu bemerken und stellte sich voll Mitleid vor ihn hin, indem sie sagte »Sagen Sie doch, Herr – wie heißen Sie denn?«
    »Heinrich Lee«, sagte er.
    »Herr Lee, geht es denn Ihnen ganz schlecht? Ich habe keinen rechten Begriff davon; Sie sind doch am Ende nicht so arm, daß Sie auch nichts zu essen haben?«
    Heinrich lächelte und sagte »Es hat nicht zum mindesten etwas zu bedeuten, wie ich Ihnen sage, aber im Augenblick ist es allerdings so!« Er erzählte ihr hierauf mit wenig Worten sein Abenteuer, worauf sie die Hände zusammenschlug und rief »Herr Gott! aber warum tun Sie denn das? Wie können Sie sich so der Not aussetzen?«
    »Nun, mit Absicht hab ich es gerade nicht getan«, sagte er, »da es aber einmal so ist, so bin ich sogar sehr froh darüber; sehen Sie, man lernt an allem etwas und hat manchmal sogar die besten Früchte daran. Für Frauen sind dergleichen Übungen nicht notwendig, denn sie tun so immer, was sie nicht lassen können; für uns Männer aber sind immer so recht handgreifliche Exerzitien gut, denn was wir nicht sehen und fühlen, sind wir nie zu glauben geneigt oder halten es für unvernünftig und verächtlich.«
    Das gute Mädchen hatte indessen ein kleines Tischchen herbeigeholt und vor ihn hingestellt, auf welchem einiges Essen stand. »Hier steht zum Glück«, rief sie, »noch fast mein ganzes Essen; ich ließ es mir hierher bringen, da ich heute allein war, und essen Sie wenigstens sogleich etwas, bis mein Papa zu Hause kommt und für Sie sorgt. Geht sogleich nach dem Hause, Küster, und holt eine Flasche Wein, sogleich, hört Ihr? Die Brigitte wird sie Euch geben!
    Trinken Sie lieber weißen Wein oder Rotwein, Herr Lee?«
    »Roten«, sagte er.
    »So sagt der

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