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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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inbrünstigen Gottesliebe dagegen hörte ich sie nie reden. Desto eifriger aber hielt sie darauf; es wurde ihr in unserer Verlassenheit für die lange und dunkle Zukunft eine Hauptsache, daß Gott, der Ernährer und Beschützer, mir immer vor Augen sei, und sie legte mit andauernder Sorge den Grund zu einem lebendigen Gottvertrauen in mich.
    Infolge dieses rührenden Bestrebens und auf das Zureden einer nichtsnutzigen Heuchlerin wollte sie eines Sonntags, als wir uns eben zu Tische gesetzt hatten, das Tischgebet einführen, welches bis dahin nicht üblich gewesen in unserm Hause, und sagte mir zu diesem Zwecke ein kleines altes Volksgebet vor, mit der Aufforderung, es jetzt und in Zukunft nachzubeten.
    Aber wie erstaunte sie, als ich nur die ersten Worte trocken hervorbrachte und dann plötzlich verstummte und nicht weiterkonnte!
    Das Essen dampfte auf dem Tische, es war ganz still in der Stube, die Mutter wartete, aber ich brachte keinen Laut hervor. Sie wiederholte ihr Verlangen, aber ohne Erfolg; ich blieb stumm und niedergeschlagen, und sie ließ es für diesmal bewenden, da sie mein Benehmen für eine gewöhnliche Kinderlaune hielt. Am folgenden Tage wiederholte sich der Auftritt, und sie wurde nun ernstlich bekümmert und sagte: »Warum willst du nicht beten?
    Schämst du dich?« Das war nun zwar der Fall, ich vermochte es aber nicht zu bejahen, weil, wenn ich es getan, es doch nicht wahr gewesen wäre in dem Sinne, wie sie es verstand. Der gedeckte Tisch kam mir vor wie ein Opfermahl, und das Händefalten nebst dem feierlichen Beten vor den duftenden Schüsseln wurde zu einer Zeremonie, welche mir alsobald unbesieglich, widerstand. Es war nicht Scham vor der Welt, wie es der Priester zu nennen pflegt; denn wie sollte ich mich vor der einzigen Mutter schämen, vor welcher ich, bei ihrer Milde nichts zu verbergen gewohnt war? Es war Scham vor mir selber; ich konnte mich selbst nicht sprechen hören und habe es auch nie mehr dazu gebracht, in der tiefsten Einsamkeit und Verborgenheit laut zu beten.
    »Nun sollst du nicht essen, bis du gebetet hast!« sagte die Mutter, und ich stand auf und ging vom Tische weg in eine Ecke, wo ich in grolle Traurigkeit verfiel, die mit einigem Trotze vermischt war. Meine Mutter aber blieb sitzen und tat so, als ob sie essen würde, obgleich sie es nicht konnte, und es trat eine Art düstrer Spannung zwischen uns ein, wie ich sie noch nie gefühlt hatte und die mir das Herz beklemmte. Sie ging schweigend ab und zu und räumte den Tisch ab; als jedoch die Stunde nahte, wo ich wieder zur Schule gehen sollte, brachte sie mein Essen, indem sie sich die Augen wischte, als ob ein Stäubchen darin wäre, wieder herein und sagte: »Da kannst du essen, du eigensinniges Kind!« worauf ich meinerseits unter einem Ausbruche von Schluchzen und Tränen mich hinsetzte und es mir tapfer schmecken ließ, sobald die heftige Bewegung nachließ. Auf dem Wege zur Schule ließ ich es nicht an einem vergnügten Dankseufzer fehlen für die glückliche Befreiung und Versöhnung.
    Als ich in späteren Jahren im Heimatdorfe auf Besuch war, wurde ich an das Ereignis lebhaft erinnert durch eine Geschichte, welche sich vor mehr als hundert Jahren mit einem Kinde dort zugetragen hatte und einen tiefen Eindruck auf mich machte. In einer Ecke der Kirchhofmauer war eine kleine steinerne Tafel eingelassen, welche nichts als ein halbverwittertes Wappen und die Jahrzahl 1713 trug. Die Leute nannten diesen Platz das Grab des Hexenkindes und erzählten allerlei abenteuerliche und fabelhafte Geschichten von demselben, wie es ein vornehmes Kind aus der Stadt, aber in das Pfarrhaus, in welchem dazumal ein gottesfürchtiger und strenger Mann wohnte, verbannt gewesen sei, um von seiner Gottlosigkeit und unbegreiflich frühzeitigen Hexerei geheilt zu werden. Dieses sei aber nicht gelungen; vorzüglich habe es nie dazu gebracht werden können, die drei Namen der höchsten Dreieinigkeit auszusprechen, und sei in dieser gottlosen Halsstarrigkeit verblieben und elendiglich verstorben. Es sei ein außerordentlich feines und kluges Mädchen in dem zarten Alter von sieben Jahren und dessenungeachtet die allerärgste Hexe gewesen. Besonders hätte es erwachsene Mannspersonen verführt und es ihnen angetan, wenn es sie nur angeblickt, daß selbe sich sterblich in das kleine Kind verliebt und seinetwegen böse Händel angefangen hätten. Sodann hätte es seinen Unfug mit dem Geflügel getrieben und insbesondere alle Tauben des Dorfes

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