Im Schloss unserer Liebe
1. KAPITEL
Die Ausbeute des Tages bestand in einem knappen Teelöffel Gold. Kelly teilte die wertvollen Körner gerecht auf, schüttete sie in beschriftete Glasfläschchen und schenkte sie den dankbaren Touristen zur Erinnerung an ihre Reise in die Vergangenheit.
Auch Kelly hätte mit dem Tag zufrieden sein können. Doch sie fror. Um achtzehnhundertfünfzig waren Regenmäntel noch nicht erfunden worden, und ihre historische Kleidung war schon durchweicht gewesen, ehe sie die Touristen in die Mine hinabgeführt hatte. Deshalb sehnte sie sich jetzt danach, endlich den nassen Arbeitskittel und die derben Lederstiefel loszuwerden, um in ihrem warmen Häuschen in die heiße Wanne zu steigen. Ihr Bad war der einzige moderne Komfort, den sie sich gönnte. Sonst lebte sie auf dem Museumsgelände der Goldfelder wie Menschen der damaligen Zeit und war zufrieden damit.
Als die Gäule, müde vom Ziehen der Förderkarren, zu den Stallungen trotteten, wartete sie aus sicherer Entfernung ab. Einst hatte sie Pferde geliebt, aber nun, selbst nach so langer Zeit, kam sie ihnen lieber nicht in die Quere.
Sobald der Weg wieder frei war, entdeckte sie zwei Touristen, einen Mann und ein Kind, die aussahen, als wollten sie sie ansprechen.
Wer mögen die beiden sein?, überlegte Kelly. An ihrer Führung durch die Minen hatten sie nicht teilgenommen. Der Mann sah unverschämt gut aus. Groß, braun gebrannt, dunkelhaarig. Irgendwie aristokratisch, fand sie. Ja, diese altmodische Bezeichnung passte auf den Fremden.
Der kleine Junge, vielleicht sein Sohn, mochte ungefähr fünf Jahre alt sein. Beim Anblick seiner glänzenden schwarzen Locken und großen braunen Augen zog sich ihr Herz zusammen. Das war ihr in den letzten Jahren häufig passiert.
Wie viele Fünfjährige gab es auf dieser Welt?
Würde sie jemals darüber hinwegkommen?
Konnte sie das sein?
Rafael starrte zu der Gestalt hinüber, die jenseits des Weges wartete, bis die Pferde vorbeigezogen waren. Prinzessin Kellyn Marie de Boutaine von Alp de Ciel? Was für eine lächerliche Vorstellung!
Dieses mit Schmutz bespritzte Wesen erinnerte an einen müden, frierenden Goldgräber aus dem 19. Jahrhundert. Nur die unter der Krempe des Filzhutes hervorquellenden kastanienbraunen Locken passten weder zu einem Mann noch ins historische Bild.
Wenn seine Informationen stimmten, musste sie es aber sein. Das ganze Unternehmen stellte sich also doch als schwieriger als gedacht heraus.
Wie die meisten Einwohner von Alp de Ciel hatte er diese Frau nicht für eine geeignete Mutter gehalten. Er war davon ausgegangen, dass sie aus freien Stücken ihr Neugeborenes zurückgelassen hatte.
Erst durch den Untersuchungsbericht war er eines Besseren belehrt worden. Und was er erfahren hatte, empörte ihn … Er schaute auf das Kind an seiner Seite. Wenn es stimmte … Wenn sie gezwungen worden war …
Diese himmelschreiende Ungerechtigkeit musste er wiedergutmachen. Und wenn es das Einzige bliebe, was er in seinem neuen Amt zustande brachte!
Mathieu griff nach seiner Hand und klammerte sich daran fest. Ich darf jetzt nicht resignieren, meldete sich eine innere Stimme in Rafael. Immerhin waren sie um die halbe Welt bis hierher nach Australien gereist.
Er musste sofort etwas unternehmen, denn die Frau war im Begriff zu gehen.
Immer noch standen Mann und Kind wie angewurzelt da und beobachteten sie.
„Kann ich Ihnen helfen?“, frage Kelly und setzte das freundliche Lächeln auf, mit dem die Teammitglieder alle Besucher des historischen Freilichtmuseums begrüßten. „Möchten Sie noch etwas wissen, bevor wir für heute schließen?“
Die meisten Touristen waren schon gegangen. Pete, der für die Sicherheit zuständige ältere Mann, wartete am Tor auf Nachzügler.
„Wenn du möchtest, kann ich dir ein Büchlein mit Fotos vom Goldschürfen schenken.“ Unwillkürlich lächelte sie den kleinen Jungen an und versuchte, darüber hinwegzusehen, wie ähnlich …
Das Kind antwortete nicht.
„Die heutige Führung ist vorbei. Wenn du möchtest, übertrage ich die Eintrittskarten auf morgen. Dann kannst du wiederkommen.“
„Ich möchte morgen wiederkommen“, sagte der Junge ernst und mit französischem Akzent. „Geht das, Onkel Rafael?“
„Das weiß ich noch nicht.“ Der Fremde ließ Kelly nicht aus den Augen. „Es hängt davon ab, ob Sie diejenige sind, die wir suchen“, sagte er. „Wir möchten zu Kellyn Marie Fender. Der Mann am Eingang hat uns zu Ihnen geschickt. Sind Sie
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