Der Hagestolz
du es dir so vorgenommen hast; denn du bist vollkommen dein Herr, und kannst thun, wie es dir gefällt.«
»Ich habe mir wohl in den Sinn genommen morgen fort zu reisen,« entgegnete Victor, »aber ich lege es doch in eure Hand, Oheim, und werde thun, was ihr für gut haltet.«
»Wenn es so ist,« sagte der Oheim, »so halte ich, wie ich schon am Mittage sagte, für gut, daß du morgen gehest. Was die Zukunft bringen kann, das bringt sie, und wie du meinen Rath befolgen willst, so befolgst du ihn. Du bist in allen Stüken ohne Bande.«
»Ich werde also morgen den Fischer auf dem Landungsplaze aufsuchen,« entgegnete Victor.
Diese Worte waren die einzigen, welche die zwei Verwandten über ihre Verhältnisse während des Abendessens gesprochen haben. Ueber fremde Gegenstände redeten sie noch mehreres. Namentlich erzählte der Oheim, daß der alte Christoph schon vor dem Gewitter in die Hul hinaus gefahren sei, daß das Gewitter dort und besonders gegen den Ausfluß der Afel hin fürchterlich gewirthschaftet habe, es seien bei dem Bergsturze neue und zwar ungeheure Trümmer herabgefallen, und es habe das Wasser die Ufer in erschrekender Weise ausgestoßen.
»Und bei uns, da es über die Grisel ging,« fuhr er fort, »war es so sanft und zahm, daß es mir die Blumen gut befeuchtete, und kaum einige von ihren Stäben herabgeschlagen hat. Christoph, der nach dem Gewitter herüber gefahren war, wunderte sich, daß er bei uns so wenig Verwüstungen antraf.«
Als das Abendmal vorüber war, wünschten sich die beiden Verwandten zum letzten Male gute Nacht und begaben sich zu Bette. Nur Victor pakte noch, und wie er dachte, dieses Mal gewiß mit Erfolg, sein Ränzchen, und richtete sich die Reisekleider auf einen Sessel.
Als der andere Morgen anbrach, kleidete er sich in diese Kleider, nahm seinen Reisestab in die Hand und hing das Ränzlein mit einem der Tragriemen an seinen Arm. Der Spiz, der das alles verstand, tanzte vor Freuden.
Das Frühstück wurde unter unbedeutenden Gesprächen verzehrt.
»Ich werde dich bis zu dem Gitter begleiten,« sagte der Oheim, als Victor aufgestanden war, sein Ränzlein auf den Rüken genommen hatte, und Miene machte, sich zu beurlauben.
Der Greis war in ein Nebenzimmer gegangen, und mußte dort auf eine Feder gedrükt haben, oder sonst einer Vorrichtung zugegangen sein; denn Victor hörte in dem Augenblike das Rasseln des Gitters und sah durch das Fenster, wie dasselbe sich langsam öffnete.
»So,« sagte der Oheim, indem er heraus ging, »es ist in Bereitschaft.«
Victor griff nun nach dem Stabe und sezte seinen Hut auf das Haupt. Der Greis ging mit ihm über die Treppe hinab und über den Gartenplaz bis zu dem Gitter. Beide sagten sie auf dem Wege kein Wort. An dem Thore blieb der Oheim stehen, zog ein Päkchen aus der Tasche und sagte: »Hier hast du die Papiere.«
Victor aber antwortete: »Erlaubt mir, Oheim, daß ich sie nicht annehme.«
»Was? nicht annehmen? was kömmt dir denn bei?«
»Erlaubt es mir, und thut meinen Gefühlen keine Gewalt an,« sagte Victor, »lasset mir in diesem Dinge meine Weise, daß ihr seht, daß ich uneigennüzig bin.«
»Ich zwinge dich nicht,« sagte der Greis, und schob seine Papiere wieder in die Tasche.
Victor sah ihn eine Weile an. Aus den hellen Augen drangen ihm die schimmernden Thränen - Zeugen eines tiefen Gefühles - dann bükte er sich plözlich nieder und küßte heftig die runzlige Hand.
Der alte Mann gab einen dumpfen unheimlichen Laut von sich - es war, wie Schluchzen - und stieß den Jüngling bei dem Gitter hinaus.
Man vernahm gleich darauf den rasselnden Laut und den Stoß, wie sich das Thor zumachte und in das Schloß fiel. Victor wendete sich um, und sah den Greis von rükwärts, wie er mit seinem grauen Roke angethan, seinem Hause zuschritt. Der Jüngling drükte sein Tuch gegen die Augen, die heftig strömten, und nicht enden wollten. Dann kehrte er sich gleichfalls wieder ab und begab sich auf den Weg, der ihn zu der Stelle führte, wo er zum ersten Male diese Insel betreten hatte. Er ging an der einen Seite in den Graben hinab, an der andern hinauf, er ging durch den Zwerggarten, durch das Wäldchen der großen Bäume und durch das Gestrüpp. Als er an dem Landungsplaze angekommen war, waren seine Augen zwar schon getroknet, aber noch sanft geröthet. Der Greis aus der Hul erwartete ihn schon hier, und auch das freundliche blauäugige Mädchen stand in dem Hintertheile des Schiffes. Victor stieg mit dem Spize ein,
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