Der Heiler
nur Väntinen. Und ich liege hier.«
»Johannas Telefon«, sagte ich. »Du hattest es in der Hand.«
Gromow versuchte zu nicken. Seine Augen schlossen sich, und sein Kinn zuckte. Von irgendwo bekam er wieder Luft. »Noch eine Sache«, sagte er. »Für dich.«
In seinen Augen wechselten sich Verzweiflung und Hoffnung ab. Es war, als könnte er immer mal wieder das rettende Seil packen, das ihm aber ein ums andere Mal aus den Händen glitt. Ich wartete lange und wollte mich schon umdrehen, um nach dem Handy zu suchen, doch da fing er wieder an zu reden.
»Du weiÃt nicht, wie das ist«, sagte er.
Ich schwieg.
»Du weiÃt nicht, was Liebe ist. Du weiÃt nicht, wie es ist, die Geliebte zu verlieren«, sagte er. »Und sie zurückzubekommen.«
Was sollte das? Ich blieb stumm, betrachtete Gromows schweiÃglänzendes, aschfahles Gesicht.
»Ich liebe Johanna schon länger als du. Du weiÃt längst nicht alles.«
Es schien, als wollte er lächeln, wenn er nur könnte. Ich schob die Hände in die Jackentaschen, eine recht lässige Geste in Anbetracht dessen, dass vor mir ein sterbender Mann mit aufgerissenem Brustkorb lag.
»Wir waren junge Liebende«, sagte er, und es klang so triumphierend und stolz, wie das bei jemandem kurz vor dem Tod überhaupt möglich war. »Vor zwanzig Jahren. Bis Johanna mich verlieÃ. Wegen eines Missverständnisses. Dann führte uns das Leben wieder zusammen. Ich bin ihr immer treu geblieben.«
Ich betrachtete den blutenden Mann im Bett und nahm die Hände aus den Taschen.
»Johanna hat erzählt, dass du alles andere als treu warst«, sagte ich.
Gromow stöhnte vor Schmerz. Es klang, als würde eine Säge über Metall schrammen. »Ich wollte sie eifersüchtig machen. Wollte, dass sie denselben nagenden Neid spürt.«
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, mich zu beherrschen. Gromow würde nicht mehr lange atmen. Da sah ich in seinen Augen diesen schroffen Hochmut, den ich von früher kannte. Ich verstand nicht, woher er die Kraft dafür nahm.
»Und das hat auch geklappt«, sagte er mit fast ganz normaler Stimme, so dass ich erschrak.
»Wo ist Johannas Handy?«, fragte ich.
»Johanna liebt mich immer noch. WeiÃt du, woran ich das erkenne?«
»Schluss jetzt mit dem Mist«, sagte ich und versuchte, nicht meine Stimme zu heben. »Ich brauche das Handy.«
Gromow bekam wieder Atemprobleme. Er schnappte eine Weile mit geschlossenen Augen nach Luft, bis Sauerstoff in sein Blut gelangte, dann sah er mich wieder mit trotzigem Blick an.
»Ich habe es an einer bestimmten Tatsache erkannt«, sagte er.
Ich blieb stumm.
»Als es wirklich kritisch wurde, wollte sie dich nicht anrufen.«
Ich sah ihn an und wünschte mir, dass er starb, aber auch, dass er am Leben blieb.
»Du lügst«, sagte ich unwissend darüber, ob er die Unsicherheit in meiner Stimme registrierte.
»Warum sollte ich lügen«, sagte er. Das Sprechen zehrte an seinen Kräften. »Ich erzähle nur, was geschehen ist. Sieh mich an.«
»Johanna hätte mich angerufen, wenn sie gekonnt hätte.«
»Sie hatte die Möglichkeit«, sagte Gromow, und im selben Moment hörte sein Brustkorb auf zu zucken. Er bemerkte es selbst und wollte schnell noch etwas sagen, schaffte aber nur: »Aber sie hat nicht angerufen.«
Ãber sein Gesicht zog ein Staunen, sein Mund öffnete und schloss sich wieder. Er hob kurz den Kopf an und senkte ihn sofort. Die Augen starrten an die Decke.
Die Feuchtigkeit im Raum, der rohe und faule Geruch nach totem Mensch und meine beklemmenden, kreisenden Gedanken waren zu viel für mich. Gromows letzte Worte hallten lauter durchs Zimmer, als sie aus seinem Mund gekommen waren. Ich sah mich schnell um, öffnete Schränke und Schubladen auf der Suche nach dem Handy, fand es aber nicht. In der Tür blickte ich noch einmal zurück. Gromow lag reglos in der dunklen Lache wie eine groÃe, kaputte Puppe. Ich wusste nicht, was ich denken oder sagen sollte. So löschte ich das Licht und ging die Treppe hinunter.
Ich machte eine Runde durchs offene, halbdunkle Untergeschoss, und dann erst erinnerte ich mich an das Foto der Ãberwachungskamera. Die Garderobe befand sich im Eingangsbereich, und Gromows halblanger dunkler Mantel hing ordentlich auf einem Bügel, leer und mit schlaffen Schultern. Ich hatte das
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