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Der Herr Der Drachen: Roman

Titel: Der Herr Der Drachen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lara Morgan
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Brunnens, den Rücken angespannt durchgedrückt.
    Shaan beobachtete ein Blatt, das im kühlen Nass versank. Der Markt war immer einer ihrer liebsten Arbeitsplätze gewesen, als sie noch mit den Straßenbanden herumgezogen war. Bei all diesem Trubel und Stimmengewirr hatte es immer leichte Beute für Diebe gegeben. Jedenfalls bevor der Bucklige auf den Plan getreten war, dachte sie mürrisch. Sie war froh, dass sie die Bande bereits verlassen hatte, als er sie alle »unter seine Fittiche« genommen hatte, wie er es nannte. Sie schielte zu Tuon hinüber. Diese war einmal mit ihm zusammengestoßen, was der Grund dafür war, warum sie sich Arbeit im Red Pepino gesucht hatte, nicht lange nachdem Shaan selbst dort untergekommen war. Aber sie verlor nie ein Wort darüber. Shaan wünschte sich, sie würde ihr davon erzählen. Wie schlimm mochte es gewesen sein?
    Wie beiläufig spielte Shaan mit dem Blatt. »Warum erzählst du mir nie, was dir der Bucklige angetan hat?«, fragte sie leise.

    Tuon blickte sie mit verkniffenem Gesicht an. »Aus dem gleichen Grund, warum du nicht von der Zeit sprichst, in der du mit den Straßenkindern umhergezogen bist, oder von deiner toten Mutter«, erwiderte sie schroff. »Es ist vorbei. Abgeschlossen. Es macht keinen Sinn, noch einmal davon anzufangen; also hör auf, danach zu fragen.«
    Shaan zog die Hände aus dem Wasser und hockte sich ebenfalls auf den Brunnenrand. »Entschuldige«, sagte sie.
    Tuon schüttelte nur den Kopf, hielt den Blick starr auf den Marktplatz gerichtet und seufzte. »Es ist nicht deine Schuld.«
    Shaan wandte die Augen in die gleiche Richtung und beobachtete einen Verkäufer, der Fleisch auf Spieße steckte. Irgendetwas belastete Tuon. Sie war nie so abweisend, und vor allem erwähnte sie niemals so unverblümt Shaans tote Mutter. Sie wusste, wie schmerzhaft es für sie war, an ihre Mutter erinnert zu werden, die die Droge Crist mehr als ihre eigene Tochter geliebt hatte. Sie war an ihrer Sucht gestorben, als Shaan erst fünf Jahre alt gewesen war, und hatte sie so den Straßenbanden überlassen, der Legion verwaister Kinder, die stahlen, um zu überleben.
    Shaan rieb über den eingerissenen Nagel ihres rechten Daumens. Sie erinnerte sich kaum noch an ihre Mutter, entsann sich nur noch ihres roten Haares und der hellbraunen Augen in einem schmalen Gesicht. Shaans eigene Augen waren von einem so dunklen Blau, dass sie beinahe lila wirkten. Indigo hatte ihre Mutter in ihren lichten Momenten den Ton genannt.
    »Shaan!« Tuons Stimme brachte sie zurück in die Wirklichkeit. »Wenn du zu viel über die Vergangenheit nachdenkst, wist du in ihr ertrinken. Hast du nicht gesagt, du müsstest noch Fische fangen?« Sie hob eine Augenbraue.
    »Ja, gleich.« Shaan holte tief Luft; sie war müde.
    Tuon schüttelte den Kopf, aber Shaan konnte einfach nicht genug Energie aufbringen, um aufzustehen. In einer Stunde würden die Fische auch noch da sein.
    Hinter ihnen schwollen die Stimmen der Männer über dem Klang des Wassers an und verebbten wieder. Sie waren nur bruchstückhaft
zu hören, und Shaan drehte sich ein bisschen, um sie aus den Augenwinkeln zu beobachten.
    Mit einem Mal stieß ihr Tuon den Ellenbogen in die Seite und zischte: »Sieh sie nicht an!«
    »Au!« Shaan funkelte die Freundin an. »Habe ich doch gar nicht.«
    »Und ob! Solche Männer sind gefährlich. Und wenn sie herausfinden würden, dass du irgendwas mitgekriegt hast, was glaubst du wohl, wie sie dann reagieren würden?«
    »Sie würden es niemals merken. Ich habe nicht sechs Jahre auf der Straße gelebt, ohne etwas dabei zu lernen.«
    »Einer von ihnen gehört den Glaubenstreuen an«, knurrte Tuon.
    »Habe ich auch bemerkt.«
    »Dann solltest du auch wissen, dass er der Kommandant ist. Er ist gefährlich.«
    »Woher weißt du denn das?« Shaan sah sie stirnrunzelnd an. An seinem Wams war nichts zu erkennen, das seinen Rang verraten hätte.
    »Ich weiß es eben einfach«, erwiderte Tuon.
    »Wie?«
    Aber ihr Gesicht hatte einen verschlossenen Ausdruck angenommen; sie wandte den Kopf ab und strich sich ihren Rock glatt. »Leg dich nicht mit ihnen an. Es lohnt sich nicht.« Sie stand auf. »Komm schon, es warten noch Fische darauf, von dir geangelt zu werden.« Und mit diesen Worten ging sie davon.
    Shaan schaute ihr einen Moment lang nach, ehe sie ebenfalls aufstand und ihr folgte. Tuon benahm sich in letzter Zeit ausgesprochen seltsam. Während sie nebeneinander herliefen, betrachtete Shaan Tuons Gesicht.

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