Der Herr Der Drachen: Roman
1
Die Stadt Salmut, Saranthium
M it einem Ruck fuhr Shaan aus dem Schlaf auf. Ihr Atem ging schnell und stoßweise. Zum wiederholten Mal hatte sie von Feuer und Tod geträumt.
Benommen rollte sie sich auf den Rücken und starrte die Risse in der Decke an. Es war kurz nach Morgengrauen, Hitze und Luftfeuchtigkeit nahmen bereits zu. Sie war schweißbedeckt, das Bettzeug klebte an ihren Gliedern, und sie fühlte sich plötzlich unbehaglich. So strampelte sie die Decke ans Fußende und fuhr sich dann mit unsicheren Händen durch das kurze, dunkle Haar.
Dieses Mal war der Traum noch lebendiger gewesen. Die unerwünschten Bilder drängten erneut in ihr Bewusstsein. Brennendes Fleisch, Schreie, Feuer, das die seltsame Stadt verschlang, und diese Stimme, die sie verfolgte und sie quälte. Sie konnte noch immer das zischelnde Flüstern hören.
Als draußen der Wagen klapperte, der den Müll einsammelte, schrak sie zusammen. Ärgerlich schob sie die letzten Traumschwaden beiseite. Was sollte es bringen, darüber nachzugrübeln, wenn sie auch so schon genügend Schwierigkeiten hatte? Sie erhob sich aus ihrem Bett, ging zum Fenster hinüber und stieß die hölzernen Läden auf. Der Gestank von Unrat und Fäulnis wehte von der Straße zwei Stockwerke tiefer zu ihr herauf, und angeekelt hob sie den Kopf, um wenigstens einen Hauch frischer Luft zu erhaschen. Der Himmel war vom verwaschenen Rosa des anbrechenden Morgens getönt. Hinter den flachen Dächern der Stadt ragten die Lagerhallen und Landungsstege des Großen Hafens
in das dunkle Wasser der Bucht. Die mächtige Hauptpier sah aus wie ein steinerner Arm, der auf den Rand der Welt zeigte, und das Meer ähnelte einem Tuch aus schwarzer Seide. Die Schiffe, die vor Anker lagen, bewegten sich kaum im leichten Wellengang.
Shaan ließ den Blick zu den dicht an dicht stehenden, weiß getünchten Häusern gleiten, die sich entlang der roten Klippe am gegenüberliegenden Ende der Bucht drängten. Dies war die Anlage, die die Drachen und ihre Reiter beherbergte. Sie biss sich auf die Lippen, und ihr Magen zog sich zusammen. Es waren nur noch zwei Monate bis zum Wettkampf der Reiter. Würde ihr gestriger Fehler ihr einen Strich durch die Rechnung machen? Würde er sich dann noch daran erinnern?
Davon hätte sie träumen sollen, nicht von einer brennenden Stadt. Wenn sie bei dem Wettkampf versagte, würde sie zwei weitere Jahre den Söhnen und Töchtern der Würdenträger der Stadt hinterherputzen müssen, denen die Stellung als Reiter praktisch sicher war. Beim Wettkampf zu patzen, das würde bedeuten, dass all ihre Anstrengungen vergebens gewesen wären.
Sie stützte sich auf dem Fensterbrett auf, und das gesplitterte Holz schabte ihr über die Haut. Der Septenführer Balkis hatte vorher kaum von ihr Notiz genommen, aber nun gab es keine Zweifel mehr, dass sie ihm im Gedächtnis bleiben würde. Beim bloßen Gedanken daran, wie er sie angesehen hatte, wurde Shaan übel. Sie hatte ihm eine scharfe Schneide anstelle einer stumpfen Klinge gereicht. Der Jungreiter, den er ausbildete, hatte mit sieben Stichen am Oberschenkel genäht werden müssen. Es lag an den Träumen und am Schlafmangel. Wäre sie nicht so müde gewesen, wäre ihr ein solcher Fehler nicht unterlaufen.
Sie brauchte jeden erdenklichen Vorteil, um sich einen Platz als Jungreiterin zu sichern. Den Mann gegen sich aufzubringen, der möglicherweise über ihr Schicksal entscheiden würde, dürfte nicht besonders hilfreich sein. Solange sie zurückdenken konnte, war niemand, der zum Septenführer ernannt worden war, jünger als Balkis gewesen, und ausgerechnet sie musste sich seinen Unmut zuziehen. Sie starrte zur Anlage hinüber, als könnte sie
mit ihrem Blick in sein Gehirn eindringen. Wähle mich , dachte sie, wähle mich.
Ein hochseetüchtiges Fischerboot lenkte sie ab, dessen Segel sich nun, da es am Landungssteg festmachte, strahlend weiß vor den roten Klippen abhoben. Eine Zeit lang ließ sie ihren Blick darauf ruhen, dann fluchte sie mit einem Mal, als ihr einfiel, dass sie versprochen hatte, an diesem Morgen für Torg Fisch zu besorgen. Seufzend zog sie sich ein ärmelloses grünes Kleid über den Kopf, schlüpfte mit den Füßen in ihre Sandalen, trat hinaus in den schmalen Flur und schlang im Gehen einen breiten Gürtel um ihre Taille.
»Tuon, Tuon, aufwachen«, rief sie den Flur hinunter und klopfte energisch gegen eine Tür am Ende des Ganges. Ohne auf eine Antwort zu warten, öffnete sie sie und steckte
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