Der Herr der Ringe
endlich. Ich habe recht gehabt, wie du siehst. Wir sind hoch oben auf der Ostseite von Moria. Ehe der Tag heute vorbei ist, sollten wir die Großen Tore finden und das Wasser des Spiegelsees vor uns im Schattenbachtal liegen sehen.«
»Es wird mich freuen«, sagte Gimli. »Ich habe Moria gesehen, und es ist sehr groß, aber es ist dunkel und schrecklich geworden; und wir haben keine Spur von meiner Sippe gefunden. Ich bezweifle jetzt, dass Balin jemals hierher kam.«
Nachdem sie gefrühstückt hatten, beschloss Gandalf, gleich weiterzugehen. »Wir sind müde, aber wir sollten uns lieber ausruhen, wenn wir draußen sind«, sagte er. »Ich glaube, dass keiner von uns gern eine weitere Nacht in Moria verbringen möchte.«
»Nein, gewiss nicht«, sagte Boromir. »Welchen Weg wollen wir nehmen? Dort drüben durch den östlichen Bogen?«
»Vielleicht«, antwortete Gandalf. »Aber ich weiß noch nicht genau, wo wir sind. Wenn ich mich nicht sehr irre, vermutlich oberhalb und nördlich der Großen Tore; und es mag nicht leicht sein, den richtigen Weg dort hinunter zu finden. Der Weg durch den östlichen Bogen wird sich wahrscheinlich als derjenige erweisen, den wir nehmen müssen; aber ehe wir uns entscheiden, sollten wir uns umschauen. Lasst uns dem Licht dort nachgehen, das durch die nördliche Tür hereinfällt. Wenn wir ein Fenster finden könnten, wäre das nützlich, aber ich fürchte, das Licht kommt nur durch tiefe Schächte.«
Geführt von ihm, ging die Gemeinschaft unter dem nördlichen Bogen durch. Sie befanden sich nun in einem breiten Gang. Als sie weitergingen, wurde der Lichtschein stärker, und sie sahen jetzt, dass er durch eine Türöffnung zu ihrer Rechten drang. Sie war hoch und oben flach, und die Steintür hing noch in den Angeln und stand halb offen. Dahinter lag ein großer, rechtwinkliger Raum. Er war nur schwach erleuchtet, aber ihren Augen, die so lange an Dunkelheit gewöhnt gewesen waren, erschien er blendend hell, und sie blinzelten, als sie eintraten.
Ihre Füße wirbelten eine dicke Staubschicht auf dem Boden auf und stolperten über Dinge, deren Form sie zuerst nicht erkennen konnten. Die Kammer war durch einen breiten Schacht in der Ostwand erhellt; er führte schräg aufwärts, und ganz oben konnten sie einen kleinen, rechteckigen Flecken blauen Himmels sehen. Das Licht des Schachts fiel genau auf einen Tisch in der Mitte des Raums: einen einzigen, länglichen Block, etwa zwei Fuß hoch, auf dem eine große weiße Steinplatte lag.
»Das sieht wie ein Grab aus«, murmelte Frodo und beugte sich mit einem seltsamen Gefühl der Vorahnung vor, um besser sehen zu können. Gandalf trat rasch neben ihn. Auf der Platte waren Runen tief eingegraben.
»Das sind Daerons Runen, wie sie früher in Moria gebräuchlich waren«, sagte Gandalf. »Hier steht in den Sprachen der Menschen und Zwerge:
BALIN FUNDINS SOHN
HERR VON MORIA.«
»Er ist also tot«, sagte Frodo. »Ich hatte es gefürchtet.« Gimli zog seine Kapuze über das Gesicht.
FÜNFTES KAPITEL
DIE BRÜCKE VON KHAZAD-DÛM
S chweigend stand die Gemeinschaft des Ringes an Balins Grab. Frodo dachte an Bilbo und seine lange Freundschaft mit dem Zwerg und an Balins Besuch im Auenland vor langer Zeit. In dieser staubigen Kammer in den Bergen schien das vor tausend Jahren und auf der anderen Seite der Welt gewesen zu sein.
Endlich rührten sie sich wieder, blickten auf und begannen, nach etwas zu suchen, das ihnen Aufschluss über Balins Schicksal geben oder ihnen zeigen würde, was aus seinem Volk geworden war. Es gab am anderen Ende der Kammer unter dem Schacht noch eine zweite, kleinere Tür. An beiden Türen sahen sie jetzt viele Knochen liegen und dazwischen zerbrochene Schwerter und Eisen von Äxten und gespaltene Schilde und Helme. Einige der Schwerter waren gebogen: Ork-Krummsäbel mit geschwärzten Klingen.
In den Fels der Wände waren viele Nischen hineingehauen, und in ihnen standen große, eisenbeschlagene Truhen aus Holz. Alle waren aufgebrochen und geplündert worden; doch neben dem zertrümmerten Deckel einer Truhe lagen die Reste eines Buches. Es war aufgeschlitzt und hineingestochen worden und teilweise angesengt, und es war so besudelt mit schwarzen und anderen dunklen Flecken wie von altem Blut, dass kaum etwas zu lesen war. Gandalf hob es vorsichtig auf, aber die Seiten zerbröselten und brachen, als er es auf die Steinplatte legte. Er brütete eine Weile darüber, ohne zu sprechen. Frodo und Gimli standen neben ihm
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