Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
sich in den Zug und fahren Sie schnell wieder dorthin, woher Sie …«
    »Uberto!«, unterbrach Donna Laura den erbosten Fahrer.
    »Na ist doch wahr!«, murrte der.
    »Herr Michel«, richtete sie ihr Wort wieder an den Fremden, und sie benutzte dabei erneut die deutsche Sprache.
    Der Angesprochene hatte gerade seinen Koffer aufgehoben
    und sah zu dem übers Wagendach blickenden Engelsgesicht. »Signorina?«
    »Wenn Sie sich mit den Seelen von Maschinen so gut auskennen, könnten Sie dann das Automobil meines Vaters nicht überreden, mich nach Hause zu fahren?«
    »Selbstverständlich könnte ich das. Aber warum sollte ich es tun?«
    »Vielleicht, weil ich Sie darum bitte …?«
    Der junge Mann fühlte sich, als würde ein elektrischer Strom durch seinen Körper fließen. Für Uberto, den unsensiblen Ma-schinenschinder, empfand er nur Verachtung, aber wie konnte er diesem Mädchen einen Wunsch abschlagen? Er seufzte und stellte den Koffer wieder ab.
    Wortlos ging er erneut um die Motorhaube herum. Dafür gab es keinen bestimmten Grund, außer vielleicht jenen einen: Im Fenster der nach wie vor offenen Tür konnte er einen weiteren Blick auf Donna Lauras elfenhafte Gestalt erhaschen. Auf dem Rücksitz entdeckte er einen zerknüllten ockerfarbenen Mantel. Wieso trug sie ihn nicht, sondern trotzte in ihrer schmal geschnittenen, spitzenbesetzten, lindgrünen Bluse dem kühlen Klima? Wollte sie ihn mit ihrer Weiblichkeit verzaubern? Oder ging es ihr gar wie ihm, der weder die Novemberkälte noch die zornglühenden Blicke des Fahrers spürte?
    31
    Mit einem Ruck riss er sich von ihr los und richtete seine Augen auf die Motorhaube. Langsam streckte er beide Arme aus und ließ abermals die Innenflächen seiner Hände dicht über das schwarz lackierte Blech wandern. Dabei summte er leise vor sich hin.
    »Was soll das werden?«, brummte der uniformierte Hüne.
    »Ich suche die kranke Stelle«, murmelte der junge Mann und setzte sein Summen fort.
    »Wie wär’s, wenn du mal in deinem Kopf nachschaust?«
    »Lass ihn, Uberto!«, verlangte Donna Laura.
    Die Hände des jungen Mannes legten sich langsam auf einen bestimmten Punkt im oberen Drittel der Motorhaube. Uberto schnaubte verächtlich. Seine Herrin schmunzelte zwar, verfolgte aber nichtsdestotrotz fasziniert das seltsame Benehmen des Besuchers aus Wien. Selbiges ließ sich von der Menschentraube vor dem Bahnhof sagen, die den offenkundig auf Benzinkutschen spezialisierten Nervenarzt tuschelnd bei seiner Arbeit beobachtete. Während seine Hände noch auf dem warmen Blech lagen, neigte der Fremde den Kopf zur Seite und sagte leise auf Deutsch:
    »Im Übrigen haben die leblosen Dinge keine Seelen, wie Sie es sich vorstellen mögen, Donna Laura.«
    »Sondern?«
    »Für jemanden, dem ihre Natur fremd ist, lässt sich das
    schwer erklären. Vielleicht kann ich es so ausdrücken: Die Weisheit und unerschöpfliche Kraft des Allmächtigen hat die gesamte Schöpfung hervorgebracht. Wir Menschen mögen darin zwar die Krönung sein, aber der göttliche Funke glimmt sogar im win-zigsten Sandkorn, das sich drüben am Badestrand mit Millionen anderen in den Wellen wiegt. Wenn wir, wie es in der Thora heißt,
    ›im Bilde des Ewigen‹ erschaffen worden sind, dann muss sich in jedem unserer guten Werke auch er spiegeln.« Niklas Michel lächelte verlegen. »Sobald man diese tiefe Wahrheit spürt, emp-findet man sogar für ein Automobil Respekt.«
    »Das ist alles?«, flüsterte Donna Laura erstaunt.
    »Ich fürchte ja.«
    32
    »Und Sie wollen mir tatsächlich weismachen, die Maschinen könnten die Achtung spüren, die Sie ihnen entgegenbringen?«
    Allmählich wurde die junge Frau wieder lauter.
    Anstatt zu antworten, umrundete der Fremde erneut den
    Kühlergrill des Wagens, öffnete die Fahrertür und setzte sich ans Volant.
    »Das geht jetzt aber zu weit …«, beschwerte sich Uberto bei seiner Herrin.
    Sie hob nur ihre weiße Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen, dann ließ sie sich auf den Rücksitz gleiten und beugte sich zu dem jungen Mann vor. »Sie haben Mut, Herr Michel.«
    Ihr warmer Atem strich an seinem Ohr vorbei, und sein Na-
    cken kribbelte wie unter einer heißen Dusche. Sie war umgeben von einem betörenden Duft. Jasmin?, fragte er sich. Alles um ihn herum drehte sich. Er war zu keiner Erwiderung fähig.
    »Sind Sie Jude?«
    Ihre überraschende Frage ließ ihn jäh zu Eis erstarren.
    »Sie brauchen keine Angst zu haben«, fügte sie rasch hinzu.
    »Wie …?«
    »Woran ich

Weitere Kostenlose Bücher