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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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kaputt.«
    »Viel schlimmer, Signor Michel. Aber das will er ihnen selber sagen. Bitte beeilen Sie sich.«
    »Geben Sie mir wenigstens einen Hinweis, Uberto. Muss ich meine Rohrzange mitnehmen?«
    »Eher das Uhrmacherbesteck.«
    Weniger als fünf Minuten später eilten die beiden schon zur Piazza hinunter. Obwohl es bis zu Manzinis Haus nur ein Steinwurf war, bestand Uberto darauf, den Doctor Mechanicae im Lancia zu chauffieren. Nachdem sie den Palast des Podestà durch einen Nebeneingang betreten hatten, hörte Nico schon Manzinis Stimme wie eine Gerölllawine durch das Haus hallen.
    »… hättest du mir das nicht früher sagen können?«
    Maschinenarzt und Fahrer stoben über den Wandelgang des
    Innenhofs zu einem Treppenaufgang. Über ihnen antwortete auf den Vorwurf eine leise Stimme. War das Laura? Endlich hatten sie den ersten Stock erreicht. Uberto lotste den Besucher in Richtung Arbeitszimmer. Eine Reihe von Türnischen, tief wie Tunneleingänge, glitten an ihnen vorüber. Das Privatbüro des Stadtvorstehers stand offen, und als Nico atemlos davor zum Stehen kam, sah er, was längst offensichtlich war: Vater und Tochter in einer Stim-144
    mung äußerster Verzweiflung. Manzini bemerkte den Nothelfer zuerst, weil Laura mit dem Rücken zur Tür stand. Er wedelte mit seiner fleischigen Hand.
    »Kommen Sie herein, Signor Michel.«
    Der Blick des Angesprochenen wanderte unschlüssig über den Türrahmen. Don Massimiliano rief ihn in sein Allerheiligstes? Das konnte nur ein Traum sein.
    »Nun kommen Sie schon!«, drängte der Hausherr. Manzini sah ungewohnt derangiert aus. Seine schwarzen Haare, einschließlich des Schnurrbarts, waren zerzaust und bar jeder Pomade. Er trug einen Pyjama und darüber einen offen stehenden, dunkelblauen Hausmantel aus Seide mit breiten, schwarz glänzenden Revers und dem Familienwappen auf der Brust.
    Nico schickte sich gerade an das Büro zu betreten, als darin unvermittelt ein Telefon klingelte.
    »Warten Sie!«, sagte Manzini, hielt dem Besucher die Hand-fläche entgegen und wandte sich erneut seiner Tochter zu.
    »Würdest du bitte einen Moment hinausgehen, Liebes? Und
    mach die Tür hinter dir zu.« Mittlerweile klingelte es zum dritten Mal.
    Laura stapfte wütend in die Galerie hinaus, ließ im Vorübergehen die Tür zuknallen und blieb mit vor der Brust verschränkten Armen an der Balustrade stehen, von wo aus sie in den Lichthof des Palazzo hinunterblickte.
    Nico gesellte sich zu ihr. Wenn nur Uberto nicht da wäre!
    Eine Zeit lang standen die beiden schweigend nebeneinander und sahen auf das große Mosaik im Hof hinab. Es war von Brunos Vater, Evaristo Sacchi, gestaltet worden und zeigte die Erschaf-fung Adams. Das Motiv stammte ursprünglich von Michelangelo und schmückte die Decke der Sixtinischen Kapelle: Eben hatte der erste Mensch von Gott den Odem des Lebens erhalten. Seine Hand reckte sich noch dem himmlischen Vater entgegen, ihrer beider Zeigefinger waren einander ganz nahe. Adam lag nackt auf dem Erdboden, aus dem er gebildet worden war, und trug Massimiliano Manzinis Kopf auf den Schultern.
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    »Was ist geschehen?« Nico versuchte, seiner Stimme einen
    beiläufigen Klang zu geben.
    Laura stieß die Luft durch die Nase aus. »Er ist so ungerecht.
    Ich habe nichts weiter getan als …« Sie verstummte, weil hinter ihnen die Tür aufgezogen wurde. Beide drehten sich um.
    Der Stadtvorsteher sah ungewöhnlich blass aus, sein Blick gläsern. Es kostete ihn erkennbar Mühe, sich zu sammeln, um zu murmeln: »Ihr könnt jetzt hereinkommen.«
    »Was ist mit dir, Papà ?«, fragte Laura besorgt.
    Er schüttelte den Kopf. »Nichts …«
    »Schlechte Nachrichten?«
    Manzinis Schultern hoben sich und fielen wieder herab. »Ich muss das alles erst einmal verkraften.«
    »Kam der Anruf aus Rom?«
    Er musterte zögernd den Besucher, dann nickte er seufzend.
    »Ihr habt vermutlich schon im Radio gehört, dass die Polen gestern den deutschen Radiosender Gleiwitz überfallen haben.«
    Nicos Augenbrauen zogen sich zusammen. Es hatte im August ständig Berichte von angeblichen Gräueltaten gegen die deutsche Bevölkerung im »polnischen Korridor« gegeben. Erst vor zwei Tagen habe Hitler ultimativ die Entsendung eines bevollmächtigten polnischen Unterhändlers zum Zwecke direkter Verhandlungen »binnen vierundzwanzig Stunden« gefordert. Nico interessierte sich nicht sonderlich für Politik, aber es fiel ihm schwer, sich den »polnischen Terror«, über den die deutsche Propaganda

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