Auf einem Maskenball verführt
1. KAPITEL
Als Alyssa Blake den Kiesweg entlangschritt, war das Fest bereits in vollem Gange. Alljährlich im neuseeländischen Frühling, im September, fand der traditionsreiche Saxon’s Folly Maskenball statt.
„Nur nichts anmerken lassen“, sagte sie leise zu sich selbst, während sie sich zwischen den geparkten Luxuslimousinen hindurchschlängelte. „Tu einfach so, als würdest du dazugehören.“
Gegen den dunklen Nachthimmel hob sich strahlend hell das erleuchtete Hauptgebäude des Weingutes ab. Es war ein dreistöckiges weißes Wohnhaus im viktorianischen Stil, das in den mehr als hundert Jahren seines Bestehens Flutwellen und Bränden getrotzt hatte. Sogar ein schweres Erdbeben, wie es Hawke’s Bay im Osten der Nordinsel heimgesucht hatte, konnte dem Haus nichts anhaben. Nur einige kleinere Reparaturen waren damals fällig geworden.
Je näher Alyssa kam, desto lauter wurde die Musik, auch wenn noch keine Partygäste zu sehen waren.
Plötzlich entdeckte sie oben auf der Steintreppe vor der zweiflügligen schweren Eingangstür einen Mann in Uniform. Alyssa zögerte, und ihr Herz schlug schneller. War der Mann Butler, oder gehörte er dem Sicherheitsdienst an? Einmal mehr befahl sie sich, Ruhe zu bewahren.
„Leider habe ich meine Einladung nicht dabei“, legte sie sich im Stillen als Ausrede zurecht. Besonders gut klang das nicht. Vor allem weil sie gar keine der begehrten dunkelblauen Karten mit der kostbaren Silberprägung erhalten hatte. Was, wenn der Türsteher sich die Mühe machte und in der Gästeliste nachsah?
Vielleicht konnte sie einfach aufrecht und mit einem souveränen Lächeln an ihm vorbeigehen?
Im schlimmsten Fall würde er sie aufhalten und nach ihrem Namen fragen. Er würde wohl kaum Alyssa Blake, die für die anerkannte Fachzeitschrift Wine Watch viel beachtete Reportagen schrieb, den Eintritt verwehren. Zwar hatte sie vor einigen Jahren wenig schmeichelhaft über Joshua Saxon, den Eigentümer der Saxon’s Folly Weingüter, berichtet und sich damit dessen Unmut zugezogen. Aber sicher würde sich dieser Türsteher nicht daran erinnern. Vielleicht würde der Mann sie auch einfach einlassen, ohne sie genauer zu betrachten. In ihrem bodenlangen dunkelroten Kleid und mit der auffälligen schwarzen Maske mit Federbesatz und Strasssteinen sah sie nicht gerade wie ein ungebetener Gast aus.
Um Mut zu fassen, holte sie noch einmal tief Luft. Noch war sie dem Türsteher nicht aufgefallen …
In diesem Augenblick wurde eine Seitentür geöffnet, Licht drang nach außen, und ein Paar verließ fröhlich lachend den Ball. Hinter den beiden schloss sich die Tür langsam wieder, fiel aber nicht ins Schloss.
Schnell schlüpfte Alyssa in das Haus, wo sie einen Moment in der großzügigen Eingangshalle stehen blieb, bevor sie die breiten Stufen zum Ballsaal emporschritt.
Dort eröffnete sich Alyssa eine ganz neue Welt: Sie fühlte sich in die der Reichen und Schönen versetzt. In dem prächtig dekorierten Saal tanzten attraktive Damen in Designerroben mit Herren im Smoking. Doch für all den Prunk und die sich anmutig wiegenden Tanzpaare hatte Alyssa kaum einen zweiten Blick übrig. Angestrengt versuchte sie stattdessen, den Mann zu entdecken, dessentwegen sie sich hier unerlaubt Zutritt verschafft hatte.
„Sind Sie gerade erst angekommen?“
Hinter einer schwarzen Maske blickte sie ein Mann aus glitzernden dunklen Augen an.
„Ja, leider ziemlich spät“, antwortete sie höflich und versuchte, die Nervosität zu überspielen, die sie plötzlich ergriff, als ihr bewusst wurde, dass sie es tatsächlich auf den Ball geschafft hatte.
„Besser spät als nie.“
„Man soll nie nie sagen.“ Alyssa lachte und drohte scherzhaft mit dem Finger.
Auch er lachte. „Sie sind eine Frau mit klaren Grundsätzen, richtig?“
„Ja. Und stolz darauf.“
Seine Stimme klang rau, seltsam vertraut … und unglaublich sexy. Durch ihre Maske musterte Alyssa den großen schlanken und atemberaubend attraktiven Mann so unauffällig wie möglich. Teint und Haare waren dunkel. In dem maßgeschneiderten Smoking kamen die breiten Schultern wunderbar zur Geltung. Trotz der Maske waren seine markanten Gesichtszüge zu erkennen.
„Tanzen Sie mit mir“, sagte er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, und bot ihr den Arm.
Kein Zweifel, Mr. Unwiderstehlich akzeptierte kein Nein. Alyssa konnte er mit diesem Verhalten jedoch nicht beeindrucken. Wenn sie ausging, suchte sie sich stets einfühlsame und
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