Der Herr der Unruhe
lieben, wenn ihr uns Mädchen ab und zu eure Gefühle zeigen würdet. So wie du gerade eben.«
»Ich …« Er schüttelte den Kopf und suchte nach Worten.
Laura legte ihren Zeigefinger auf seine Lippen. »Schsch! Du brauchst nichts zu sagen, Niklas. Ich habe deine Tränen gesehen, und mir geht das Schicksal dieses armen Uhrmachers auch zu Herzen. Nur gut, dass sein größtes Meisterwerk hier einen Ehren-platz bekommen hat.«
Nico verstand die Welt nicht mehr. Alles hatte sich verdreht: Aus oben war unten, aus böse gut geworden.
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»Alles in Ordnung?«, rief unvermittelt der Aufpasser von der Tür her. Er hatte das leise Gespräch der beiden vermutlich gehört aber kaum verstanden. Hochgradig intelligent war Uberto ohnehin nicht, und der deutsche Wortschatz ihm gänzlich fremd.
»Ja, ja«, antwortete Laura.
»Und warum schnieft Signor Michel dann?«
»Weil er sich gerade an die traurige Geschichte von Emanuele dei Rossi erinnert hat, und weil er im Gegensatz zu dir ein sehr feinfühliger Mann ist, Uberto.«
Der Chauffeur schnaubte verächtlich. »Jeder muss eben seinen Preis zahlen. Ich bin stark, aber keine große Leuchte. Und er spricht mit den Maschinen, hat dafür aber nahe am Wasser gebaut.«
»Du sagst es. Und jetzt lass ihn weiterarbeiten.«
Uberto zog sich wieder zur Inspektion des weiblichen Haus-personals zurück.
Die Unpässlichkeit der Lebensuhr war schnell behoben. Nico musste sie nicht einmal anhalten, um sie, wie Laura sich ausgedrückt hatte, wieder ›in Gleichschritt zu bringen‹. »Es lag an der Hemmung«, erklärte er ihr. Die Arbeit an dem Meisterstück war mehr für den Sohn ihres Schöpfers als für die Uhr eine Therapie gewesen. Nico konnte sogar schon wieder lächeln, als Laura die Stirn in Falten legte. Er fand, dass ihr die Verwunderung fast so gut stand, wie jeder andere Gesichtsausdruck.
»Unter einer Hemmung habe ich bisher immer etwas anderes
verstanden.«
Er räusperte sich, um seiner zitternden Stimme einen förmlichen Klang zu verleihen. »Ohne Hemmung würden die Zeiger der Uhr nach dem Aufziehen wie wild im Kreis herumjagen und bald wieder stehen bleiben.«
Obwohl er mit dem Zeigefinger den Vorgang gestisch unter-
strichen hatte, blieben Lauras Augen allein auf die seinen gerichtet. Leise sagte sie: »Die Hemmung ist also dazu da, dass die Uhr nicht durchdreht.«
Nico spürte in sich eine Hitze aufwallen, die ihm bisher nur von fiebrigen Erkältungen bekannt war. Er musste sich abermals 154
räuspern. »D-die … die Hemmung besteht aus mehreren Teilen: dem Hemmrad, auch Steigrad genannt …«
»Steigrad? Was steigt denn da?«
»Die Kraft.«
»Ah! Das leuchtet mir ein.«
Sein Mund trocknete mit rasender Geschwindigkeit aus. »Aber sie muss gebändigt werden«, gab er rasch zu bedenken. »Deshalb gibt es da noch den Anker mit der … Ankergabel.«
Sie nickte zustimmend. »So wie der Anker, der etwas festhält: ein Schiff, das in die Ferne strebt. Oder die Liebe …« Ihre Stimme verhallte in Sphären, die sich Nico bisher nicht erschlossen hatten. Er stürzte, während er in ihre dunklen Augen blickte, mitten hinein, immer tiefer, bis ihn das unbändige Verlangen erfüllte, sich an etwas festzuhalten …
»… glaube, darin tut sich was«, brach sich unvermittelt Ubertos Stimme von draußen eine Schneise in Nicos Bewusstsein.
Erschrocken bemerkte er, dass er Lauras Hand hielt. Wie war es dazu gekommen? Rasch ließ er sie los. Keine Sekunde zu früh, denn schon betrat Massimiliano Manzini den Raum.
»Wie sieht es aus, junger Freund?«
Nico öffnete den Mund, aber es dauerte trotzdem noch eine ganze Weile, bis er antwortete: »Himmlisch!«
»Soll das heißen, Sie haben die Uhr repariert?«
»Äh … Na ja, eigentlich ist das ein zu großes Wort. Der
Gangregler musste nur etwas nachjustiert werden, vermutlich weil die Uhr jahrelang unbeweglich in ihrer Schatulle gelegen hat.
Das kann zu einseitigen Abnutzungen führen und die wiederum zu kleinen Unwuchten. Warum tragen Sie die Uhr nicht einfach ab und zu? Sie ist wie ein rassiges Pferd. Das lässt man auch nicht ständig im Stall herumstehen.«
»Sind Sie verrückt geworden? Da könnte ich sie ja fallen lassen.«
»Es gibt gegen solche Unwägbarkeiten Uhrenketten, Don …«
»Davon will ich nichts hören. Die Lebensuhr bleibt da, wo sie ist.«
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»Dann dürfen Sie Ihrer Tochter aber auch nicht die Schuld geben, wenn die Uhr bald wieder aus dem Tritt kommt.«
»Sie haben Recht. Ich war schon
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