Der Herr der zerstörten Seelen
ersten fünf Tage wohnten sie in einem dieser Betonwabenmonster von Hotel, umgeben von aufgetakelten Touristinnen und bayerischen, hessischen und rheinischen Kampf-Trinkern. Was schlimm war, war auch heilsam: Der Rummel ließ sie vergessen. An den Schlagzeilen, die ihnen vom Hotelkiosk entgegenleuchteten, gingen sie vorüber. Der Ausblick auf den Hafen von Santa Cruz mit seinen großen weißen Kreuzfahrtschiffen und den ungezählten Segelbooten und Yachten aber versetzte sie jeden Morgen in eine andere Welt.
So sehr hatte sich alles verändert und war doch im Grunde gleich geblieben. Die Selbstverständlichkeit, mit der es geschah, war das eigentliche Wunder.
Gleich am ersten Tag, nach der Landung in Los Rodeos, hatte Do ihre Tochter an die Hand genommen. Sie waren in die Stadt zum Einkaufen gefahren. Katis Anorak, die zerschlissenen Jeans hatten ausgedient. Weise hielt Do sich zurück – nur kein Fehler jetzt – und staunte, wie ihre Tochter es für geradezu unglaublich wenig Geld fertigbrachte, sich in eine ganz normale Touristin zu verwandeln.
Anschließend zogen sie einträchtig glücklich durch die engen Gassen. Auch hier gab es deutsche Zeitungen mit den bekannten Schlagzeilen. Aber auch Männer, die die Köpfe drehten … Und es gab noch eine ganz wichtige Selbstverständlichkeit. Daß sie sich daran hielten, was Jan noch vor dem Abflug gesagt hatte: »Es gibt eine Menge zu bereden, klar. Aber ich würde meinen, wir sollten erst mal wieder Menschen werden, ganz normale Menschen, die sich ihren Urlaub hart verdient haben … Über alles andere reden wir erst dann, wenn jeder fühlt, daß die Zeit gekommen ist.«
Am fünften Tag fand Jan das Haus auf dem Felsen. Es gehörte einem englischen Maler, hatte einen verwilderten, kläglichen Garten, war sehr bescheiden und ziemlich unpraktisch – und sie verliebten sich von Anfang an darin. Manchmal besuchten sie die kleine Gruppe von Fischerhäusern in der Bucht, oder sie liefen stundenlang am Strand entlang, oft frierend in einem diesigen Nieselregen. Jan hatte sich mit den Fischern angefreundet, fuhr in der letzten Zeit mit ihnen aufs Meer hinaus, und oft genug saßen sie dann an irgendeinem Tisch unter einem Palmwedeldach vor riesigen Bergen von Calamares und Fischen.
Daß es nun Donnerstag war, das wußte Do. Als sie am Morgen die Terrasse betrat, raschelten die Palmenblätter wie Metallfolien. Beim Anblick der von der Sonne ausgebleichten Holzbretter fielen ihr wieder die Haare ein: Sie mußte zum Friseur, unbedingt – obwohl Jan diese häßlichen grau-rötlichen Streifen als ›einfach hinreißend interessant‹ erklärt hatte. Vielleicht schaffte sie es heute am Flughafen, wenn sie Robert Tennhaff abholten. Viel Hoffnung hatte Do allerdings nicht … Kati ließ sich nicht blicken. Vielleicht war sie schon im Bad, um sich für den großen Augenblick schön zu machen.
Aber der Schreibtisch wartete, mit all seinen Büchern, dem ganzen Kram, vor allem mit Berichten und dem Buchmanuskript Die Sekte des Todes, das Do zu schreiben begonnen hatte.
Voll schlechten Gewissens nahm sie Tommis letzten Bericht in die Hand. Die Hexenjagd hatte also begonnen. ›Heute‹ war in heftige Turbulenzen gekommen, nachdem Schmidt-Weimars Verbindungen zur GW von der Konkurrenz in allen Details geschildert wurden. Und nicht nur Schmidt-Weimars Verbindungen. Die Liste der Namen umfaßte alle Gebiete von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft bis in die sogenannten ›feinsten Kreise‹. Daß dort ein Arjun oder Legrand vergöttert wurde, war kaum anzunehmen; an was man glaubte, das waren die Zahlen auf den Schecks. Nun, diese Leute würden es aussitzen, wie immer … Schönberg aber mußte von Polizisten abgeriegelt werden. Ganze Busladungen von Neugierigen wurden an die Ruinen gekarrt, und an der Mauer saßen die zurückgebliebenen GW-Anhänger vor den Bildern von Arjun, Legrand und Marc Berg, zündeten Kerzen an und meditierten.
Als Do sich das alles vorzustellen versuchte, legten sich zwei Hände um ihre Augen und die Stirn. Beide rochen nach Fisch. Do schüttelte sie ab. Das erste, was sie sah, war nicht Jans Grinsen, sondern zwei dicke Seebarsche auf Zeitungspapier.
»Siehst du, frisch aus dem Meer! Bis du dich zur Arbeit entschlossen hast, bin ich schon fertig.« Er strahlte sie an, zog einen Stuhl heran und ließ sich darauf fallen. »Stör' ich dich sehr?«
Sie schüttelte kläglich den Kopf. »Ich hab' das hier noch nicht mal durchgelesen.«
»Aber ich.«
»Du?
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