Der Herr von Moor House
nächsten Wochenende blieben nur die Dienstboten in Moor House zurück. Giles fuhr nach Oxford, Matilda ins heimatliche Surrey, Sophie begleitete Charlotte für ein paar Wochen nach Somerset, und das frisch gebackene Ehepaar reiste nach Norfolk.
Christian hatte seiner Schwester in einem Brief mitgeteilt, er habe Megan geheiratet. Nun sanken sich die beiden Freundinnen lachend und weinend in die Arme. Megan wäre gern noch länger bei Georgiana geblieben. Aber Christian wollte ihr die Amüsements einer Londoner Saison bieten, die sie nie zuvor erlebt hatte. Während eines hektischen Spätfrühlings besuchten sie fast jeden Abend einen Ball, und Megan stellte eines Tages fest, dass sie ein Baby erwartete.
Im Herbst wurde Charles William Drew geboren, ein kräftiger, kerngesunder Junge, der die blauen Augen der Mutter und das eigenwillige Kinn des Vaters geerbt hatte. Die Niederkunft war schwierig gewesen. Aber Megan erholte sich sehr schnell. Bei der ersten Gelegenheit floh sie aus ihrem Schlafzimmer, um endlich wieder frische Luft zu atmen.
“Ah, da bist du ja!” Christian schloss die Terrassentür hinter sich und nahm neben Megan auf der niedrigen steinernen Balustrade Platz.
“Welche deiner Getreuen hat dir verraten, wo ich bin? Sophie, unsere Haushälterin oder meine Zofe?”
“Die gute Emily.”
“Das wusste ich doch!” Inzwischen hatte sich die Frau als wahres Juwel erwiesen, und Megan verstand die besondere Zuneigung zwischen ihrer Zofe und Christian. Sie betrachtete das Profil ihres Mannes und sah ein Lächeln. “Woran denkst du?”
“An einen ähnlichen kühlen Herbsttag vor etwa einem Jahr … Damals fuhr ich nach London, um den alten Metcalf aufzusuchen. Er fragte, ob ich in die Hauptstadt zurückkehren und den Beginn des neuen Jahrhunderts feiern würde. Sarkastisch erwiderte ich, in unserem Land gäbe es nichts zu feiern – und ich persönlich hätte schon gar keinen Grund dazu. Wenige Wochen später veränderte sich meine Meinung geradezu dramatisch.” Zärtlich umfasste er Megans Hand. “Für mich ist dieses Jahr einfach wundervoll. Mein Leben konnte gar nicht glücklicher verlaufen – wenn man auch bedenken muss, welche Gefahr England droht. Wir besitzen zwar die beste Navy der Welt, aber es wäre sträflicher Leichtsinn, zu glauben, der Korse könnte ausschließlich auf dem Meer besiegt werden. Früher oder später müssen wir dem Feind zu Lande gegenübertreten.”
“Also rechnest du mit einem Krieg?”, fragte Megan bedrückt.
“Nach meiner Ansicht lässt er sich gar nicht vermeiden.”
“Hoffentlich irrst du dich, Chris. Wer sollte unser Heer gegen Frankreich ins Feld führen? Neulich erklärte Frederick Fortescue, da wäre niemand …”
“Diese Meinung teile ich nicht”, unterbrach er sie. “Im Gegensatz zu Fortescue lernte ich in Indien einen Colonel kennen – einen ungewöhnlichen Mann, der durchaus fähig wäre, unsere Truppen zu kommandieren. Im Augenblick gibt es nur wenige Leute, die den Namen Arthur Wellesley kennen. Doch das wird sich bald ändern.” Mit einem sanften Lächeln wandte er sich zu Megan. “Ja, dieses erste Jahr des neuen Jahrhunderts hat mir so viel geschenkt – neuen Optimismus, den ersehnten Erben und das kostbare Geschenk – dich, meine Liebste. Was immer die Zukunft auch bringen mag, wir werden ihr gemeinsam entgegenblicken.”
– ENDE –
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