Der Hexenschwur: Roman (German Edition)
blieb. Die Auswirkungen dieses unsäglichen Kriegs sind auch hier zu erkennen, dachte Maria betrübt. Obwohl die Gefechte das Land an der Saar noch nicht erreicht hatten, mussten die Menschen tagtäglich ums Überleben kämpfen. Zu Beginn waren es politische und konfessionelle Gründe gewesen, diesen Krieg zu entfachen. Doch mittlerweile hatte man den Eindruck, dass jeder gegen jeden kämpfte und die Gefechte deshalb nicht enden wollten.
Maria seufzte kaum hörbar und blickte zu der Todgeweihten. Erneut wurde ihr die Vergänglichkeit des Lebens bewusst, denn erst vor Kurzem hatte sie einen geliebten Menschen beerdigen müssen. Die Äbtissin des Augustinerklosters zu Fraulautern war nach kurzer, heftiger Krankheit gestorben. Es war ein schwerer Verlust für Maria gewesen, denn seit ihrem zwölften Lebensjahr lebte sie unter der Obhut der Äbtissin im Kloster. Auf Wunsch der Verstorbenen war Maria zur neuen Leiterin des Nonnenstifts ernannt worden. Ich hätte gern auf dieses Amt verzichtet, wenn Sophia weiterleben würde, dachte Maria und wischte sich über die Augen. Nun müsste sie sich schon bald auch von Regina Rehmringer verabschieden, der sie so viel zu verdanken hatte. Gerne hätte sie ihr noch einmal gedankt, doch sie wusste, dass die Frau sie nicht mehr hören konnte.
Maria hatte plötzlich das Gefühl, als ob jemand ihr Herz zusammenpresste. Ihre Augen brannten von aufsteigenden Tränen. Doch sie konnte nicht weinen. Regina Rehmringer hatte ein hohes Alter erreicht, und dafür war die Nonne ihrem Herrgott dankbar.
Sie ging neben Magdalena, die vor dem Bett auf einem Schemel saß, in die Hocke. Die Äbtissin flüsterte: »Geh an die frische Luft, mein Kind, und lass dir etwas zu essen zubereiten. Ich werde dich ablösen.«
Magdalena ergriff Marias Hand und drückte sie sanft. Mit müdem Blick stand sie auf und ging zur Tür, wo ihr Vater sie umarmte. »Kommst du mit hinaus?«, fragte sie ihn leise.
Er schüttelte den Kopf. »Ich bleibe noch eine Weile. Vielleicht wacht Regina ein letztes Mal auf.«
Magdalena nickte, doch ihr Blick verriet Zweifel. »Ruf mich, falls das geschehen sollte«, flüsterte sie und verließ mit hängenden Schultern den Raum.
Johann zog den Stuhl, der neben der Wäschetruhe im Zimmer stand, zu sich und setzte sich. Als Maria aufblickte, nickte er ihr kurz zu. Lächelnd wandte sich die Nonne der alten Rehmringer zu und nahm deren schlaffe Hand in ihre. Maria erinnerte sich an die Zeit, als sie nach Wellingen gekommen war.
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Sie war ein kleines Kind gewesen, als ihr Vater der Hexerei beschuldigt und verbrannt wurde. Von da an quälten Maria schlimme Alpträume, in denen sie Menschen sah, die mit dem Teufel tanzten. In einem dieser Träume glaubte sie ihre Stiefmutter zu erkennen. Als ein Nachbar die Stiefmutter des Schadenszaubers anklagte und ihr unterstellte, dass wegen ihres bösen Blicks die Kuh weniger Milch gebe, erzählte Maria dem Richter von ihrem Traum. Fortan galt das Kind als Hexenerkennerin.
So kamen sie ins Land an der Saar in den Ort Wellingen, wo sie Regina Rehmringer kennenlernten, die das Kind ins Herz schloss und von seinen bösen Träumen befreien wollte. Sie stellte das Mädchen unter die Obhut der Äbtissin von Fraulautern. Tatsächlich verschwanden in der Abgeschiedenheit hinter den Klostermauern und durch zahlreiche Gebete sowie Gespräche die bösen Träume, und Maria wurde geheilt.
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»Kannst du dich an den Tag erinnern, als ich zu euch gekommen bin?«, fragte Maria mit leiser Stimme.
»Wie könnte ich ihn je vergessen?«
Ohne aufzuschauen, flüsterte sie heiser: »Wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn Frau Rehmringer und ihr euch nicht um mich gekümmert hättet.«
»Vielleicht hättest du einen netten Mann geheiratet, wärst Mutter geworden und nicht ins Kloster gegangen«, sagte Johann mit einem Schmunzeln in der Stimme.
»Oder ich wäre auf dem Scheiterhaufen gelandet«, erwiderte Maria ernst.
»Sag so etwas nicht«, bat Johann verhalten.
Mit starrem Blick schaute Maria ihn an. »Die meisten Menschen hatten Angst vor mir, schließlich zog ich mit einem Magier übers Land, um bei der Hexenfindung zu helfen.«
»Das war nichts Schlechtes«, erklärte Johann. »So konnte man gewiss sein, dass keine unschuldige Frau verurteilt wurde.«
Maria zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. »Ich bin nicht sicher. Je älter ich werde, umso mehr denke ich darüber nach, ob unser Handeln damals rechtens war. Manchmal sehe ich im Traum die
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