Der Himmel ist kein Ort
freute ihn, dass man ihn gerufen
hatte.
Der Wind hatte nachgelassen, doch der Regen fiel unverändert dicht, sodass er die Wischer in den Schnellgang schaltete. Der
rechte Wischer schrammte über die Scheibe, war wahrscheinlich verbogen. Und der Motor lief ziemlich rau. Aber das Auto fuhr
immer noch zuverlässig. So alt es auch war – er mochte sich nicht von ihm trennen. Nicht das Haus, nicht seine Wohnung, auch
nicht die Kirche – dieser enge, schäbige Kasten war für ihn der vertrauteste Ort. Besonders nachts auf leeren Landstraßen
war der kleine dunkle Innenraum mit den matt beleuchteten Instrumententafeln hinter dem Lenkrad für ihn eine Art Mönchszelle,
in der er sich geborgen und bei sich selbst fühlte. Auch jetzt genügte ihm die kurze Fahrt zum Unfallort, um sich zu sammeln
und zu ordnen. Er war nicht mal gespannt, was er sehen würde, er fuhr nur, während die Scheibenwischer den Wasserschleier
beiseiteräumten und im Licht seiner Scheinwerfer der Regen weißlich sprühend auf dem Asphalt tanzte. Jetzt begann die große
Kurve, mit der die Straße an den See heranrückte, und nun sah er die kreisenden Blaulichter der Polizeiautos und der Feuerwehr,
die mit einem Scheinwerfer die Unfallstelle beleuchtete. Zwischen den Fahrzeugen liefen Feuerwehrleute und weiß gekleidete
Sanitäter oder Ärzte, verschwommen im dichten Regen. Ein Polizist winkte ihn mit einer Leuchtkelle an den Straßenrand und
trat grüßend auf |15| ihn zu, als er ausstieg. Es war der Polizeibeamte, der ihn angerufen hatte.
»Wie sieht’s aus?«, fragte er.
»Sie haben den Wagen jetzt angekettet und werden ihn gleich rausziehen. Der Fahrer steht da vorne.«
Der Polizist zeigte auf einen Mann, der ein wenig abseits von den Sanitätern und Feuerwehrleuten am Ufer stand und auf den
See starrte, wo jetzt Bewegung entstand, weil die Seilwinde des Feuerwehrwagens zu arbeiten begann.
»Ich kümmere mich um ihn«, sagte er und ging auf den Mann zu, ohne schon zu wissen, was er tun und was er sagen wollte. Der
Mann stand regungslos da. Als er von der Seite an ihn herantrat, glaubte er spüren zu können, mit welcher unablenkbaren Konzentration
der Mann den Punkt fixierte, wo das vor Spannung vibrierende Drahtseil in die Wasserfläche einschnitt und gleich, wenn die
Befestigung nicht riss, das Auto zum Vorschein kommen musste.
»Kommen Sie hier weg«, sagte er zu dem Mann. »Bleiben Sie nicht hier stehen. Ich bin Pfarrer Henrichsen, ich kümmere mich
um Sie.«
Der Mann schien nichts verstanden zu haben, wandte nicht einmal den Kopf. In diesem Augenblick tauchte das Wagenheck auf,
das Rückfenster, das Wagendach, und durch die Seitenfenster, an denen das Wasser herunterströmte, sah man undeutlich zwei
Menschen, die wie Dummys in den Gurten hingen. Der Mann neben ihm stöhnte auf, wehrte sich aber kaum, als er ihn an der Schulter
fasste und fortdrehte. Über seine Schulter hinweg sah er, wie das Auto, ein |16| roter Opel Astra, auf die Böschung gezogen wurde, wo Feuerwehrleute die anscheinend verklemmte Beifahrertür aufbrachen und
Sanitäter die zusammengesunkenen Körper von den Sitzen hoben, zuerst die Frau, dann den kleinen Jungen, beide mit schlaff
herunterhängenden Gliedmaßen und wirren Haaren, in von Wasser triefenden Kleidern. Ihre Ohnmacht, oder war es der Tod, schien
ihr Gewicht vergrößert zu haben. Trotz ihrer geübten Griffe hatten die Sanitäter Mühe, die leblosen Körper auf Tragen den
glitschigen Abhang hochzuschleppen. Sie stellten sie am Straßenrand ab. Zwei Ärzte knieten bei ihnen, um nach Lebensresten
zu suchen, umstellt von Menschen, die sich bereithielten für irgendwelche Hilfen oder auch nur, um zuzuschauen.
Der Mann in seinen Armen stöhnte, als sähe er, was hinter seinem Rücken geschah und wenig Hoffnung auf Rettung ließ. Die Ärzte
waren nach kurzer Prüfung wieder aufgestanden, und sofort hoben die Sanitäter die Tragen auf und liefen damit quer über die
Straße zu den beiden Rettungswagen, in denen jetzt wahrscheinlich Wiederbelebungsversuche begannen. Noch immer hielt er den
Mann in seinen Armen, eine sperrige, dumpfe Körpermasse, in der er ein Beben spürte, das er zu beschwichtigen versuchte.
»Man hat sie in die Rettungswagen gebracht«, sagte er leise, denn er war sich bewusst, dass der Kopf des Mannes an seiner
Schulter lehnte und er fast direkt in dessen Ohr sprach. Er bekam keine Antwort. Vorsichtig löste er seine Umarmung,
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