Der Hinterhalt
dass ich bei Mondlicht schreiben kann. Ich weiß nicht, wie lange ich noch in dieses Tagebuch schreiben werde. Ich bin mir nicht sicher, ob ich es noch brauche. Ich bin mir nicht sicher, ob es noch irgendetwas gibt, was ich dir über mich erzählen kann. Alles, was man über mich wissen muss, befindet sich auf meinem Schoß. Es ist das Einzige, was wichtig ist.
Ich kann immer noch kaum glauben, dass all das wahr ist. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich Vater bin. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich dem Krieg den Rücken gekehrt habe. In gewisser Hinsicht ergibt es einen Sinn. Ich habe noch ein paar zufällige Erinnerungen an meinen Vater vor seiner Ermordung. Sie stammen allesamt aus einer Zeit, als ich noch nichts vom Krieg wusste. Es sind allesamt unschuldige Erinnerungen.
Jeden Sonntagmorgen nahm er mich mit zum Angeln. Andere gingen in die Kirche, wir gingen angeln. Manchmal kam meine Schwester mit, die jedoch nicht besonders gern angelte. Ich angelte eigentlich auch nicht besonders gern, aber ich begleitete meinen Vater, weil es mir gefiel, Zeit mit ihm zu verbringen. Wir fuhren immer zu einem See ganz in der Nähe. Dort gab es einen kleinen Steg, der ins Wasser hineinragte und aus altem Holz bestand, das bereits morsch war. Ich sah nie, dass ein Boot daran festgemacht war. Der Steg war so etwas wie unsere Zufluchtsstätte. Wir gingen bis an sein Ende, setzten uns hin, versahen unsere Angelhaken mit einem Köder und warfen unsere Leinen ins Wasser aus. Mein Vater steckte jedes Mal für mich den Köder auf den Angelhaken, da ich es nicht übers Herz brachte, den Haken durch den sich windenden Wurm zu stechen. Dann warteten wir und unterhielten uns. Ich glaube, dass vor allem ich redete. Ich erinnere mich allerdings nicht mehr, worüber wir redeten. Ich erinnere mich nicht, dass mein Vater versuchte, mir irgendwelche väterlichen Weisheiten zu vermitteln. Ich erinnere mich nur noch, dass ich immer glücklich war, während ich darauf wartete, dass ein Fisch an meinem Haken anbiss, obwohl ich insgeheim Angst davor hatte. In gewisser Weise, denke ich, war es besser, dass mein Vater starb, bevor ich vom Krieg erfuhr. Ich bin froh, dass ich nie mit ihm darüber sprechen musste. Ich bin froh, dass meine Erinnerungen an ihn reiner sind.
Eines Tages werde ich vielleicht mit Christopher angeln gehen. Wenn es dazu kommt, werde ich für ihn einen Köder auf seinen Haken stecken. Dann können wir uns den ganzen Tag über Nichtigkeiten unterhalten, und alles wird gut sein.
ZWEITER TEIL
Chris,
ich hoffe aus tiefstem Herzen, dass du diese Zeilen niemals lesen musst, dass ich schließlich und endlich in der Lage sein werde, dich zu beschützen. Falls du sie doch liest, ist irgendetwas an meinem Plan schiefgegangen, und ich habe dich zum zweiten Mal im Stich gelassen. Falls dir irgendetwas zugestoßen ist, falls ich dich erneut im Stich gelassen habe, dann solltest du unbedingt erfahren, wer du wirklich bist und wer dein Vater war. Dein Name – der Name, den dein Vater und ich dir gegeben haben – ist Christopher. Dein Nachname spielt keine Rolle. Wahrscheinlich ist es sogar besser, wenn du ihn nicht kennst. Mein Name ist Maria. Ich bin deine Mutter. Dein Vater hieß Joseph. Wir haben dich bekommen, als wir noch sehr jung waren, vor allem ich. Ich weiß, wie gefährlich die Welt ist, in die ich dich geboren habe. Glaub mir, ich habe ihre Gefahren aus nächster Nähe erlebt. Du musst wissen, dass ich mein Möglichstes tue, um dich zu beschützen. Ich treffe vielleicht nicht immer die richtigen Entscheidungen, aber ich gebe mir Mühe. Dein Vater hat sich ebenfalls Mühe gegeben. Wir wünschten uns so sehr ein normales Leben für dich. Eine kurze Zeit lang hatten wir auch die Illusion, dass wir dir ein solches Leben würden ermöglichen können.
Du wurdest in New Mexico geboren. Nachdem dein Vater und ich fast neun Monate lang auf der Flucht gewesen waren, ließen wir uns in einem kleinen weißen Haus am Rand der roten Sandwüste nieder. Wir glaubten, endlich einen sicheren Ort gefunden zu haben, eine Oase. Wir schotteten uns ab. Wir wollten niemanden belästigen. Du erinnerst dich natürlich nicht mehr, aber eine kurze Zeit lang waren wir eine ganz normale, glückliche kleine Familie. Ich erinnere mich an wunderschöne Momente, in denen ich tatsächlich vergaß, dass wir auf der Flucht waren. Ich glaube, sogar dein Vater hat sich manchmal den Gedanken gestattet, sie hätten uns vergessen. Wir waren so naiv, so
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