Der Hinterhalt
ERSTES KAPITEL
Es fällt mir schwer zu entscheiden, wo ich beginnen soll. Man soll am Anfang beginnen, heißt es, aber woher soll ich wissen, wo der Anfang ist? Schwer zu sagen. Ich hatte immer ein viel besseres Gespür für das Ende. Vermutlich begann es jedoch in Brooklyn, als ich in der Dunkelheit an einer Straßenecke stand und darauf wartete, dass eine Frau ihren Laden schließt.
Als sie aus dem Gebäude trat, wich ich ins Dunkel zurück. Sie blickte sich kurz in alle Richtungen um, doch ich wusste, dass sie nur eine menschenleere Straße sah. Deshalb richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder darauf, ihren Laden abzuschließen. Die letzte Stunde hatte sie damit zugebracht, aufzuräumen, die Theke abzuwischen und die Weinflaschen wieder zu ordnen, die Kunden verstellt hatten. Jetzt stand sie vor dem Laden auf dem Bürgersteig, um nach einem langen Arbeitstag nach Hause zu ihrer Familie zu gehen. Sie zog das Metallgitter herunter, das ihren Laden schützen sollte, sicherte es mit einem Vorhängeschloss, verstaute den Schlüssel in ihrer Handtasche und trat noch einmal einen Schritt zurück, um erneut einen kurzen Blick in beide Richtungen zu werfen. Noch immer nichts. Sie griff in ihre Handtasche, fischte eine einzelne Zigarette heraus und zündete sie an. Sie inhalierte tief, wandte sich nach links und ging die dunkle Straße hinunter.
Bislang war alles genau so gewesen, wie man mir gesagt hatte. Sie hatte keine Begleitung. Sie schien keinen Verdacht zu hegen. Ihr Mann war geschäftlich unterwegs. Es hatte geheißen, die Sache sei einfach, und es sah ausnahmsweise einmal so aus, als würde sich das tatsächlich bewahrheiten.
Ich wartete, bis sie bei der nächsten Querstraße angelangt war, bevor ich aus dem Dunkel trat, in dem ich gewartet hatte. Dann wandte ich mich nach rechts und folgte ihr auf der anderen Straßenseite. Sie ging ziemlich schnell, mit entschlossenem, aber dennoch femininem Schritt. Alle paar Meter zog sie an ihrer Zigarette. Sie trug einen langen schwarzen Rock, schwarze Turnschuhe und eine lilafarbene Bluse. Sie war attraktiv, doch ich gab mir alle Mühe, diesen Umstand aus meinen Gedanken auszublenden. Stattdessen konzentrierte ich mich darauf, mein Tempo so zu wählen, dass ich sie ohne Verdacht zu erregen einholen würde, sobald sie ihre Wohnung erreichte. Ich tat das nicht zum ersten Mal. Meine Unschuld hatte ich schon Jahre zuvor verloren. Und es sollte auch nicht das letzte Mal sein, das war mir schon damals klar. Dieser Gedanke machte mir jedoch nicht zu schaffen. Ich hatte einen Job zu erledigen.
Als sie nach links zu ihrer Wohnung abbog, war ich weniger als einen Viertel-Häuserblock hinter ihr. Ich beobachtete, wie sie ihre Zigarettenkippe auf den Bürgersteig schnippte und mit einer Drehbewegung des Fußes austrat. Dann ging sie die noch ruhigere, baumgesäumte Seitenstraße entlang, in der sie wohnte. Sobald ich mir sicher war, dass ich mich außerhalb ihres Blickfelds befand, wechselte ich rasch die Straßenseite. Dabei nahm ich dünne schwarze Lederhandschuhe aus meiner Tasche und zog sie an. In der Seitenstraße war es noch dunkler. Es gab dort weniger Straßenlaternen.
Sie bewegte sich jetzt ziemlich schnell voran. Schneller, als sie es unter normalen Umständen getan hätte, vermute ich. Ich glaube nicht, dass sie mich gesehen hatte, aber sie muss irgendetwas gespürt haben. Das war normal. Eine Art sechster Sinn, eine bange Vorahnung, dass etwas Schreckliches geschehen würde. Sie wagte es nicht, sich umzublicken. Noch nicht. Mit ein paar langen Schritten verringerte ich den Abstand zwischen uns auf etwa drei Meter.
Inzwischen hatte sie zweifellos bemerkt, dass ich ihr folgte. Gesehen hatte sie mich allerdings immer noch nicht. Sie spürte mich einfach hinter sich. Sie hätte schreien können, doch ich wusste, dass sie das nicht tun würde. Sie würde nicht riskieren, sich lächerlich zu machen. Ich hätte auch einer ihrer Nachbarn sein können, der wie sie gerade von der Arbeit nach Hause kam. Sie war seit einiger Zeit nicht mehr im Geschäft. Sie war nicht mehr in der Lage, sich auf ihre Instinkte zu verlassen.
Ich sah, wie sie abermals in ihre Handtasche griff. Sie hätte nach allem Möglichen tasten können. Ich beobachtete ihre Hand. Wenn sie eine Pistole hervorgeholt hätte, Tränengas oder auch nur ein Mobiltelefon, wäre ich gezwungen gewesen, schneller zu handeln, als ich wollte. Ich hätte sie am Handgelenk packen, es ihr verdrehen und dafür sorgen müssen,
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