Duft der Unschuld - Tennington (German Edition)
Kapitel 1
Ich schlich die Straße hinab und nutzte dabei jede sich bietende Deckung; Mülltonnen, Sträucher, Bäume. Ich wollte nicht gesehen werden. In diesem kleinen schottischen Dorf würde mir das nur bedingt gelingen. Zum vollständigen Abtauchen eigneten sich Großstädte wohl besser, aber erst einmal musste ich von der Bildfläche verschwinden und möglichst viele Abzweige nutzen, um meinen Fluchtweg und mein geplantes Ziel zu verschleiern.
Ich hatte Hunger. Aber so zerrupft, wie ich aussah, konnte ich nicht in den Pub gehen, der rechts von mir lag. Deshalb schlich ich mit einem sehnsüchtigen Seufzen weiter und griff nach den Trägern meines Rucksacks. Am Ende der Straße lag ein kleiner Laden, das Schild war nicht beleuchtet und ich musste dicht herantreten, um zu sehen, dass es sich um einen zu dieser Zeit längst geschlossenen Buchladen handelte.
Ich mochte Bücher; las gern und viel, aber seitdem ich auf der Flucht war, blieb dazu keine Zeit. Nicht einmal mein Lieblingsbuch hatte ich einstecken können. Lediglich ein paar Kleidungsstücke und etwas Proviant hatten in meinem Rucksack Platz gefunden. Und mittlerweile war die Wäsche dreckig und der Proviant aufgebraucht. Mein Schlafsack hing eng eingerollt unter dem Rucksack und ich war noch immer sehr froh, ihn mitgenommen zu haben.
Mein Bargeld belief sich auf ein paar Euro, mehr war von fast dreihundert Euro nicht mehr da. Die Reise hierher hatte eben doch mehr gekostet als erwartet.
Egal, irgendwie würde ich schon Geld und Nahrungsmittel auftreiben. Nein, ich musste.
Müde schleppte ich sich an dem Buchladen vorbei und warf einen Blick in den Hinterhof des grauen Steinhauses. Da gab es einen Unterstand, der aussah, als könnte er Regen und Wind für die Nacht abhalten. Das wäre doch was. Ich schlich näher und sah mich im nächtlichen Halbdunkel um.
Der kleine Schuppen war toll! Es stand nur ein einzelnes Fahrrad darin. Der Boden bestand zwar nur aus festgestampfter Erde und die Tür ließ sich nicht schließen, aber hier konnte ich meinen Schlafsack ausrollen und versuchen, ausnahmsweise mal eine Nacht durchzuschlafen. Ob mir das mit knurrendem Magen überhaupt gelingen würde? Ich hatte keine Ahnung, aber auf einen Versuch kam es wohl an.
~*~
„Was tust du hier?!“, riss mich eine Männerstimme aus wirren Träumen. Ich blinzelte und fuhr hoch. Es war schon hell! Merde , hatte ich so lange gepennt? Ich richtete mich hastig auf und kroch aus dem Schlafsack. Mein Magen schmerzte und ich verzog das Gesicht, bevor ich antworten konnte.
Natürlich hatte er nicht aufgehört, mit seinen Fragen und wüst aussehenden Gesten um sich zu werfen.
„Verrätst du mir mal, was das soll? Wieso schläfst du hier in meinem Schuppen?“
„Tut … mir leid!“, brachte ich schließlich hervor und vermied Blickkontakt, während ich mich hinhockte, um den Schlafsack wieder aufzurollen. Wieso ich in dieser Situation so etwas Belangloses tat, wusste ich nicht, aber vermutlich tat ich es instinktiv – durch die zusammengekrümmte Haltung konnte ich meine wütenden Eingeweide beruhigen. Ich biss die Zähne aufeinander und seufzte stumm.
„Junge, ich rede mit dir!“
Ich sah auf, seine Statur wirkte nicht allzu breit und groß, aber vor mir in der offenen Tür stand tatsächlich ein erwachsener Mann. Ich musste endlich etwas mehr sagen!
„Es tut mir wirklich leid, ich … war so müde …“ Und hungrig und erledigt und …!, setzten meine Gedanken fort, aber ich war kein Weichei und es ging diesen Mann nichts an.
„Wie ist dein Name?“, fragte er nun und hockte sich vor mich. Ich starrte ihn irritiert an und schluckte.
Mein Name? Ich konnte ihm meinen Namen nicht sagen, das war viel zu gefährlich!
„Etienne“, rutschte er mir trotzdem heraus und ich runzelte über mich selbst die Stirn.
Der Mann nickte und erhob sich wieder. „Ich bin Zachary. Komm mit.“
Ein Schauer durchrieselte mich, als er sich abwandte und aus dem Schuppen trat. Wollte er mich der Polizei übergeben?! Mit einem Satz war ich wieder auf den Füßen und bereit zur Flucht.
„Ich … verschwinde lieber“, setzte ich etwas lauter an, damit er mich auch wirklich hörte. Ich verließ den Unterstand und schulterte den Rucksack, während meine Füße mich in Richtung Straße trugen.
„Und wohin willst du?“
Ich wandte den Kopf zu ihm. Er hatte gerade eine Tür im Hof erreicht, die anscheinend in das graue Steinhaus führte. Zachary sah mich ernst an und deutete fahrig auf
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