Der Hund des Todes
Schatten einer Enttäuschung über ihr Gesicht huschte. Was hatte sie wohl von ihm zu hören erwartet?
Cleveland wandte sich an seinen Gastgeber. »Ihr Sohn scheint sich ja sehr für Chemie zu interessieren«, sagte er liebenswürdig.
Seinen Worten folgte ein lautes Klirren. Mrs Dinsmead hatte ihre Teetasse fallen lassen.
»Aber, aber, Maggie!«, sagte ihr Mann.
Cleveland schien es, als enthalte Dinsmeads Stimme eine Ermahnung, eine Warnung. Dann wandte der Hausherr sich seinem Gast zu und sprach flüssig über die Vorzüge des Baugewerbes und darüber, dass man halbwüchsige Jungen nicht ihren Willen lassen dürfe.
Nach dem Frühstück ging Cleveland allein in den Garten und rauchte. Allmählich wurde es Zeit, dass er die Dinsmeads verließ. Es war etwas anderes, ob man für eine Nacht ein Obdach suchte oder die gewährte Gastfreundschaft ohne Grund über Gebühr in Anspruch nahm. Und welchen Grund hätte er nennen können?
Dennoch hatte er absolut keine Lust, sich zu verabschieden.
Die Frage, wie er das Problem lösen könnte, ließ ihn nicht los, und ganz in Gedanken schlug er einen Weg ein, der um das Haus herumführte. Seine Schuhe hatten Kreppsohlen und machten wenig oder gar kein Geräusch. Als er am Küchenfenster vorbeikam, hörte er Dinsmead drinnen sprechen, und was er sagte, erregte sofort Clevelands Aufmerksamkeit.
»Es ist ein ziemlicher Haufen Geld«, sagte der Hausherr.
Mrs Dinsmead antwortete, doch ihre Stimme war zu leise, sodass Cleveland nicht verstand, was sie sagte.
»Fast sechzigtausend Pfund, hat der Anwalt gesagt«, entgegnete Dinsmead.
Cleveland hatte nicht lauschen wollen, war aber, als er weiterging, sehr nachdenklich. Durch diese Bemerkung über Geld schien die Situation festere Umrisse anzunehmen. Auf diese oder jene Weise ging es um sechzigtausend Pfund, das machte die Dinge klarer – und hässlicher.
Magdalen kam aus dem Haus, doch die Stimme ihres Vaters rief sie beinahe sofort zurück, und sie ging wieder hinein. Kurz darauf schloss Dinsmead sich seinem Gast an.
»Einen so schönen Morgen wie heute gibt es selten«, sagte er. »Ich hoffe nur, Ihr Wagen hat in der Nacht nicht noch mehr Schaden genommen.«
Er möchte herausfinden, wann ich verschwinde, dachte Cleveland. Dann bedankte er sich noch einmal für die Gastfreundschaft.
»Nicht der Rede wert, nicht der Rede wert«, sagte Mr Dinsmead.
Magdalen und Charlotte verließen das Haus und schlenderten Arm in Arm zu einer etwas entfernt stehenden grob behauenen Bank. Der dunkle und der rotblonde Kopf waren ein reizvoller Gegensatz, und Mortimer sagte aus einem Impuls heraus: »Ihre beiden Töchter sind sich sehr unähnlich, Mr Dinsmead.«
Der Hausherr, der eben seine Pfeife anzünden wollte, zuckte heftig mit der Hand und ließ das Streichholz fallen.
»Finden Sie?« fragte er. »Ja, nun, vermutlich stimmt es.«
Da kam Cleveland eine blitzartige Erkenntnis. »Aber natürlich sind nicht beide ihre Töchter«, sagte er gelassen.
Er merkte, dass Dinsmead ihn ansah, einen Augenblick zögerte und dann einen Entschluss fasste.
»Das haben Sie sehr gut beobachtet, Sir«, sagte er. »Ja, die eine wurde von uns adoptiert. Wir haben sie als Baby zu uns genommen und wie unsere eigene Tochter großgezogen. Sie ahnt die Wahrheit nicht, wird sie aber bald erfahren müssen.« Er seufzte.
»Handelt es sich um eine Erbschaft?«, fragte Cleveland.
Dinsmead warf ihm einen misstrauischen Blick zu, schien jedoch zu der Ansicht zu gelangen, dass Ehrlichkeit das beste sei. Seine Haltung bekam in ihrer Offenheit fast etwas Angriffslustiges.
»Wie sonderbar, dass Sie das sagen, Sir.«
»Ein Fall von Telepathie, was?« Cleveland lächelte.
»Die Sache ist die, Sir. Wir haben sie gegen Bezahlung bei uns aufgenommen, um der Mutter einen Gefallen zu tun und weil wir Geld brauchten, da ich damals gerade meine Baufirma gründete. Vor ein paar Monaten entdeckte ich in einer Zeitung eine Anzeige, und mir schien, dass es sich bei dem gesuchten Kind nur um unsere Magdalen handeln konnte. Ich habe die Anwälte aufgesucht, und es wurde eine Menge hin und her geredet. Sie waren misstrauisch, und das, was man ruhig sagen kann, nicht ohne Grund, doch inzwischen ist alles geklärt. Ich fahre nächste Woche mit ihr nach London, aber bis jetzt weiß sie von der ganzen Sache noch nichts. Ihr Vater war offensichtlich ein reicher jüdischer Geschäftsmann, der erst ein paar Monate vor seinem Tod von der Existenz des Kindes erfuhr. Er beauftragte ein paar
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