Der Hundeflüsterer - Thriller (German Edition)
bis unten. „Und was machst du, wenn ich nicht mehr zurückkomme?“
„Eine exotische Blondine wie dich finde ich immer“, antwortete er schlagfertig und Ruth lachte laut auf. Die Atmosphäre war elektrisch aufgeladen, die Luft drückend schwül und Windböen kündigten ein baldiges Gewitter an.
„Was machst du beruflich, wenn du dir so ein teures Bike leisten kannst?“ Ruth beschattete mit ihrer flachen Hand ihre Augen, um den Mann besser sehen zu können.
„Ich bin Fahrradkurier. Das Bike ist sozusagen mein Arbeitsgerät“, antwortete der Mann und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Deshalb hast du so einen durchtrainierten Körper.“ Anerkennend verzog Ruth das Gesicht zu einer Grimasse. „Sicher hast du auch eine hautenge Uniform und eine Kuriertasche.“
„Ist zwar von der Firma, sieht aber echt geil aus.“ Beide sahen sich sekundenlang tief in die Augen. „Soll ich sie dir zeigen?“, fragte er dann mit rauer Stimme.
„Warum eigentlich nicht!“
„Ich wohne nicht weit von hier“, sagte der Mann, als sie gemeinsam auf dem Bike die Straße entlangfuhren.
„Da müssen wir hinein.“ Er deutete auf ein großes geöffnetes Tor, das in ein halb zerfallenes Mietshaus führte.
„Sieht ja nicht sehr einladend aus“, kommentierte Ruth den Anblick der abblätternden Fassade und der im Erdgeschoss mit Brettern vernagelten Schaufenster. Der Hinterhof, in dem sie nach der Einfahrt standen, war zu einer Müllhalde umfunktioniert worden und es schien, als würden die Bewohner der umliegenden Häuser ihren Müll einfach hier abladen. Der ganze Hof stank widerlich nach verfaulten Abfällen und Ruth hatte plötzlich das Gefühl, gleich kotzen zu müssen. Natürlich bemerkte der Mann Ruths Ekel und verteidigte sich lautstark.
„Das sind die verdammten Grundstücksspekulanten. In der Nacht kommen sie mit Lastwagen hierher und laden den Müll ab. Damit wir hart arbeitende Berliner endlich ausziehen und sich die verdammten Yuppies aus der Provinz in den renovierten Wohnungen breitmachen können!“
„Ja, diese bösen Spekulanten“, stimmte ihm Ruth zu und interessierte sich in Wahrheit kein bisschen dafür. Sie gingen zu einem schmalen Durchgang und landeten in einem weiteren Hinterhof, der nicht viel besser aussah als der erste. In diesem Hinterhof öffnete der Kurierfahrer eine windschiefe Tür und sie stiegen langsam ein dunkles Treppenhaus nach oben, in dem alle Fenster mit Brettern verrammelt waren und die Stromkabel ohne Glühbirnen aus zerschlagenen Fassungen einfach wirr von der Decke hingen. Der Mann trug sein schwarzes Karbonrad auf der Schulter und wollte auch Ruths Nylonrucksack nehmen, doch sie schüttelte den Kopf und ging einfach schweigend hinterher.
„Da ist es!“, sagte er keuchend und wies mit seinem Arm auf eine massive Stahltür, die in dem verrotteten Treppenhaus das einzig neue Teil war. Er klimperte mit einem großen Schlüsselbund und öffnete die Tür. Drinnen war es vollkommen dunkel und Ruth konnte nicht das Geringste erkennen. Wachsam blieb sie bei der Tür stehen, während der Mann an ihr vorbei in das Dunkel huschte.
„Was ist das hier? Eine Dunkelkammer? Wenn das so ist, dann gehe ich lieber!“, rief Ruth in das Dunkel und tastete nach ihrem Rucksack. In diesem Moment entflammte weit hinten ein Streichholz und eine Kerze wurde angezündet. Das sanfte Licht erhellte den großen Raum nur notdürftig, aber Ruth erkannte die beeindruckenden Dimensionen des Raums. Auch hier waren die Fenster so dicht mit Brettern vernagelt, dass kein Sonnenstrahl seinen Weg durch die Ritzen fand.
Der Mann rutschte auf den Knien über einen knarrenden Parkettboden und entzündete weitere Kerzen, deren flackerndes Licht den mit zusammengewürfelten Sperrmüllmöbeln ausgestatteten Raum optisch beinahe in einen Ballsaal verwandelte.
„Das ist mein Atelier!“, rief er stolz und wies mit den Armen auf die fleckigen Wände, von denen die Tapeten halb abgerissen waren. „Das Kurierfahren mit dem Bike mache ich nur, um über die Runden zu kommen, bis ich endlich berühmt bin!“
Ruth fand das armselige Atelier widerlich, so wie sie Armut überhaupt entsetzlich fand, sie jedenfalls wollte nie so tief sinken wie dieser sogenannte Künstler. Verständnislos sah sie hunderte von postkartengroßen Zeichnungen, die über die Wände verteilt über die zerfetzten Tapeten auf den feuchten Verputz gepinnt waren.
„Du bist also Künstler“, sagte Ruth, schluckte ihre Abscheu
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