Der Hundeflüsterer - Thriller (German Edition)
Nasen abzuschneiden. Für jedes abgeschnittene Paar Ohren zahlte er fünfzig Dollar, für jede Nase dreißig. Sämtliche erbeuteten Nasen und Ohren ließ er dann zur Abschreckung an die Front seines Palastes in Kandahar nageln. Natürlich begann sofort eine regelrechte Hexenjagd auf Ausländer, denn fünfzig US-Dollar waren ein kleines Vermögen für die verarmte Bevölkerung.
Alliierte Kommandos hatten zwar mehrmals Kandahar bombardiert, aber Al-Masur war davon unbeeindruckt geblieben, im Gegenteil, er hatte seinen grausamen Rachefeldzug auf weitere Gebiete in Afghanistan ausgedehnt und so auch alle Hilfsorganisationen der Europäer und Amerikaner in Angst und Schrecken versetzt.
Schließlich hatte man die „Abteilung“ kontaktiert und Tom, Jane, George und François waren, als Soldaten getarnt, nach Kabul gereist. Tom hatte sich drei Monate lang einen Bart wachsen lassen, ihn schwarz gefärbt und sich die Haare abrasiert, ehe er nach Kandahar weiterzog. Er lernte mit einer Superlearning-Methode den örtlichen Dialekt und ging fünf Mal täglich in die Moschee, um zu beten. Hockte in seinem Kaftan am Straßenrand, aß nur ein Fladenbrot täglich, um arm und ausgemergelt zu wirken, und starrte auf die Front des Palasts mit den von Wind und Sonne schon ausgedörrten Ohren und Nasen, wartete Tag für Tag. Unter seinem Kaftan trug er die verschweißte Schriftrolle, die Al-Masur als Held pries. Al-Masur fuhr zum Freitagsgebet immer mit seinem Gefolge in die große Moschee und ließ sich von seinen Anhängern Gedichte schenken, denn es hatte sich unter ihnen herumgesprochen, dass er ein großer Freund orientalischer Lyrik war.
Janes Aufgabe war es gewesen, die Schriftrolle mit einer radioaktiven Substanz zu versehen, die über die Haut in den Körper eindringt und innerhalb kürzester Zeit zum Tod führt. François und George mussten Fahrzeuge beschaffen und Fluchtwege auskundschaften. Tom hatte dafür zu sorgen, dass Al-Masur die Schriftrolle auch berührte. Eine schwierige Aufgabe, aber nicht unmöglich. Als dichtender Bettler würde er Al-Masurs Interesse zumindest für einige Sekunden wecken. Es wurde Freitag und alle hatten sich schon an Toms Anblick gewöhnt. Für die anderen Bettler, die Bodyguards und Scharfschützen gehörte er bereits zum Straßenbild. Demütig warf sich Tom vor Al-Masurs gepanzerten Wagen in den Staub und hielt mit zitternden Händen die Schriftrolle in die flirrende Luft. Sekunden verstrichen und der Einsatz stand auf der Kippe. Dann senkte sich geräuschlos die schwarz getönte Scheibe und die mit dicken Goldringen geschmückte Hand von Al-Masur tauchte auf, griff nach der Rolle, die getönte Scheibe schloss sich wieder lautlos und der Wagen verschwand in Richtung Moschee. Tom hielt seine Hände mit den unsichtbaren, luftdichten Handschuhen in den Taschen seines Kaftans verborgen und schlurfte mit gebeugtem Rücken in eine der Seitenstraßen von Kandahar, wo ihn ein bunter afghanischer Lastwagen mit George am Steuer erwartete, der ihn zu einer Karawanserei außerhalb des Einflussgebietes von Al-Masur brachte, wo François einen zerlegbaren Hubschrauber verborgen hatte, mit dem alle drei nach Kabul flogen und den Erfolg ihrer Mission ausgiebig feierten.
Doch es musste eine undichte Stelle in der „Abteilung“ gegeben haben, denn der Anschlag von Amir Karsai war ganz gezielt gegen die Teilnehmer der Operation „Poet“ gerichtet worden. Wie sonst wäre es möglich gewesen, dass Karsai, der als Übersetzer für die Alliierten arbeitete und ein getarnter Killer war, eine Verbindung zu ihnen herstellen konnte? Aber alle internen Untersuchungen hatten nichts ergeben.
François und Jane waren tot und George war nach einem Nervenzusammenbruch, als er von dem Anschlag erfahren hatte, in einer diskreten psychiatrischen Klinik verschwunden. Tom hatte unter sein früheres Leben einen Schlussstrich gezogen, musste aber nach wie vor als David Stein mit dem Wissen und der Schuld leben, dass er vielleicht den Anschlag hätte verhindern können, wenn er nicht versucht hätte, sich eine Zigarette anzuzünden.
Von draußen war das Geräusch eines Autos zu hören, das langsam die holprige Straße näher kam. David achtete nicht weiter darauf, denn es war Sonjas freier Tag und sicher war sie auf dem Weg zu ihm. Das war ihm auch ganz recht, denn die Gespenster der Vergangenheit waren diesmal hartnäckiger als sonst und mit Sonjas Hilfe würde er sie vertreiben. Er ging in die Kochnische, um frischen
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