Der Hundeflüsterer - Thriller (German Edition)
aber seinen Geist in Form zu halten. Wie jeden Tag hörte er dabei die Ambientversion von „Wait for me“, während er in Zeitlupe die rituellen Tai-Chi-Bewegungen ausführte und die Erinnerung an Jane immer weiter verblasste, an Jane, die in einem anderen Leben auf ihn warten würde – „Wait for me“.
Nach Janes Tod war er in das nächste Flugzeug nach Berlin gestiegen, um wieder in seine Heimat Deutschland zurückzukehren. Doch die Maschine musste wegen eines Triebwerkschadens in Palma de Mallorca notlanden und David hatte das als Wink des Schicksals empfunden. Ohne Gepäck hatte er einfach die Maschine verlassen, mit einem dürren E-Mail seinen Dienst in der „Abteilung“ quittiert, eine neue Identität als David Stein beantragt, die Papiere dafür waren bereits einige Tage später per Kurier in Palma eingetroffen. Seine Abfindung hatte er sich auf eine diskrete Bank in Gibraltar überweisen lassen. Niemand hatte versucht, ihn zurückzuhalten. Ein ungeschriebenes Gesetz lautete: Wer die „Abteilung“ freiwillig verlässt, ist für alle Zeiten tabu.
Nur einen Monat später war ihm auf einer seiner Fahrten quer über die Insel ein verwahrloster Stall auf einem wertlosen Grundstück in der Nähe der Stadt Arta aufgefallen und sein Herz hatte heftig zu pochen angefangen, als er das Schild „Se Vende“ – „zu verkaufen“ gelesen hatte. Mit seinen eigenen Händen hatte er den Stall in eine Mini-Finca verwandelt und den dürren Boden mit Hilfe eines ausgeklügelten Bewässerungssystems in eine halbwegs grüne Oase. Als er innerhalb kürzester Zeit die beiden Rhodesian Ridgebacks eines ehemaligen deutschen Tennisstars, der in der Nähe von Arta wohnte, mit einer mentalen Trainingsmethode zu gehorsamen Hunden abgerichtet hatte, begann sein Aufstieg als Hundeflüsterer von Mallorca. Jetzt arbeitete er bereits seit zwei Jahren als Hundetrainer, hatte sein Hobby zum Beruf gemacht und sich innerhalb kürzester Zeit einen Namen gemacht.
Doch an diesem Morgen war David mit seinem eigenen Problemfall beschäftigt. Er ging hinunter in den Garten und öffnete die Tür des Käfigs. Sancho hatte sich in den hintersten Winkel verkrochen, lag versteckt im Schatten, doch David wusste, dass der Hund jede seiner Bewegungen genauestens beobachtete. Vorsichtig ließ er sich zu Boden gleiten, atmete ruhig und entspannt, blieb einige Minuten in dieser Stellung, rutschte dann ein wenig auf Sancho zu und hielt ihm die geöffnete Hand mit Futter entgegen. Sancho legte die Schnauze auf den Boden und zog die Lefzen hoch, auch David legte sich flach auf den Bauch und berührte mit seinem Kinn die kühle, festgestampfte Erde. Jetzt zog David die Mundwinkel nach oben und seufzte. Sanchos Lefzen senkten sich und er schob seine Schnauze einige Zentimeter auf David zu. Langsam drehte David seine ausgestreckte Hand und ließ das Futter auf den Boden fallen, robbte dann auf dem Bauch zurück, ohne Sancho aus den Augen zu lassen. Erst als seine Fußsohlen die Tür des Käfigs spürten, richtete er sich langsam auf und setzte sich mit dem Rücken zum Gitter.
Es war knapp eine Woche her, dass David gemeinsam mit Sonja, seiner Freundin, in seinem alten klapprigen Landrover ans Meer gefahren war. Sonja Hamsun stammte aus Norwegen, hatte dort ihre Firma verkauft und in Arta eine Tapas Bar eröffnet. Dort hatte David sie auch vor knapp zwei Jahren kennengelernt. Sie war 47 Jahre alt, wirkte aber durch ihr feines Gesicht und ihre mädchenhafte Art wesentlich jünger. Über ihre Vergangenheit redete sie so gut wie nie, was David nur recht war. Im Augenblick sahen sie sich nicht sehr häufig, da in Arta Hochsaison war und Sonja in ihrer Tapas Bar alle Hände voll zu tun hatte.
Den einzigen Tag seit zwei Wochen, an dem sich Sonja freimachen konnte, wollten David und sie am Meer verbringen. Der Strand war um diese Zeit noch menschenleer, bis auf einige Jogger. Sonja hatte sich mit gekreuzten Beinen auf den Boden gesetzt und David verliebt angelächelt, während ihre langen blonden Haare im Wind flatterten. Aber David hatte keine Augen für Sonja, David konzentrierte sich auf einige Jugendliche, die plötzlich am Ende des Strandes aufgetaucht waren und laut schreiend einen großen dürren Hund umkreisten, während der Wind peitschenden Hip-Hop aus einem Ghettoblaster herüberwehte. Mit zusammengekniffenen Augen starrte David auf die Jugendlichen, Sonja lächelte noch immer und ließ Sand zwischen ihren Fingern zu Boden rieseln. Wie eine Schlange
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