Der Idiot
hier‹,
sagte ich, ›ich gehe nicht hinaus, ehe du mir nicht verzeihst, und wenn
du mich hinausbringen läßt, ertränke ich mich; denn wie werde ich jetzt
ohne dich leben können?‹ Sie war jenen ganzen Tag wie eine Wahnsinnige:
bald weinte sie, bald wollte sie mich mit einem Messer töten, bald
schimpfte sie auf mich. Sie rief Saloschew, Keller, Semtjuschnikow und
alle andern herbei, wies vor aller Augen mit dem Finger auf mich und
schmähte mich. ›Wir wollen heute alle zusammen ins Theater fahren,
meine Herren‹, sagte sie; ›mag er hier sitzen bleiben, wenn er nicht
weggehen will; ich brauche doch seinetwegen nicht das Haus zu hüten! Es
wird Ihnen hier, während ich weg bin, Tee gereicht werden, Parfen
Semjonowitsch; Sie müssen ja heute ganz hungrig geworden sein.‹ Sie
kehrte allein aus dem Theater zurück. ›Das sind Feiglinge und Schufte‹,
sagte sie, ›sie fürchten sich vor dir und wollen auch mir Angst machen:
sie sagen: Er wird so nicht fortgehen; er wird Sie am Ende noch
ermorden! Aber ich werde, wenn ich in mein Schlafzimmer gehe, die Tür
nicht hinter mir zuschließen; so wenig fürchte ich mich vor dir! Das
magst du wissen und mit eigenen Augen sehen! Hast du Tee getrunken?‹ –
›Nein‹, sagte ich, ›und ich werde auch keinen trinken.‹ – ›Das ließe
sich hören, wenn du ein Ehrenmann wärest; so aber steht dir das sehr
wenig.‹ Und wie sie gesagt hatte, so tat sie auch: sie schloß ihr
Zimmer nicht zu. Am Morgen kam sie wieder zu mir herein und lachte. ›Du
hast wohl den Verstand verloren?‹ sagte sie; ›nicht wahr? Du wirst ja
auf diese Weise Hungers sterben.‹ – ›Verzeih mir!‹ sagte ich. – ›Ich
will dir nicht verzeihen und werde dich nicht heiraten; ich habe es dir
ja gesagt. Hast du wirklich die ganze Nacht auf diesem Stuhl gesessen
und nicht geschlafen?‹ – ›Nein‹, sagte ich, ›ich habe nicht
geschlafen.‹ –›Was bist du für ein gescheiter Mensch! Und wirst du nun
heute wieder keinen Tee trinken und nicht zu Mittag essen?‹ – ›Ich habe
dir ja gesagt, daß ich es nicht tun werde. Verzeih mir!‹ – ›Wenn du nur
wüßtest, wie wenig dir das steht‹, sagte sie; ›gerade wie einer Kuh ein
Sattel. Meinst du etwa, mich dadurch einzuschüchtern? Was schadet es
mir denn, wenn du hungrig dasitzt? Nein, wie mich das ängstigt!‹ Sie
wurde zornig, aber das dauerte nicht lange; dann fing sie wieder an,
mich zu höhnen. Und da wunderte ich mich über sie, wie es kam, daß
eigentlich so gar keine Bosheit aus ihr redete. Und doch trägt sie
andern das Böse, das sie ihr angetan haben, nach, trägt es ihnen lange
nach! Mir schoß damals der Gedanke durch den Kopf, sie möge mich wohl
so geringschätzen, daß sie mir nicht einmal ernstlich böse sein könne.
Und das ist auch die Wahrheit. ›Weißt du‹, sagte sie, ›was es mit dem
römischen Papst für eine Bewandtnis hat?‹ – ›Ich habe von ihm gehört‹,
sagte ich. – ›Du hast keine Weltgeschichte gelernt, Parfen
Semjonowitsch‹, sagte sie. – ›Ich habe überhaupt nichts gelernt‹, sagte
ich. – ›Nun‹, sagte sie, ›da will ich dir einmal etwas zu lesen geben:
es gab einmal einen Papst, der war auf einen Kaiser zornig, und der
Kaiser lag vor dem Palast des Papstes drei Tage, ohne zu trinken und
ohne zu essen, barfuß auf den Knien, bis er ihm verzieh. Was meinst du?
Was mag wohl der Kaiser in diesen drei Tagen, als er da kniete, im
stillen gedacht, und was für Gelübde mag er wohl getan haben? Aber
warte‹, sagte sie, ›ich werde es dir selbst vorlesen!‹ Sie sprang auf
und holte ein Buch. ›Es sind Verse‹, sagte sie und begann, mir in
Versen vorzulesen, wie dieser Kaiser es sich in diesen drei Tagen
zuschwor, daß er sich an dem Papst rächen werde. ›Gefällt dir das denn
nicht, Parfen Semjonowitsch?‹ sagte sie. – ›Was du da gelesen hast‹,
sagte ich, ›ist alles sehr richtig.‹ – ›Aha, du sagst selbst, daß es
richtig ist; also tust du vielleicht ebenfalls ein Gelübde von dieser
Art: Wenn sie mich heiratet, dann werde ich es ihr gedenken
und heimzahlen!‹ – ›Ich weiß nicht‹, sagte ich; ›vielleicht denke ich
wirklich so.‹ – ›Wie ist denn das möglich, daß du es nicht weißt?‹ –
›Ich weiß es einfach nicht‹, sagte ich; ›ich denke jetzt an andere
Dinge.‹ – ›Woran denkst du denn jetzt?‹ – ›Wenn du von deinem Platz
aufstehst und an mir vorbeigehst, dann blicke ich nach dir hin und
folge dir mit den Augen; und wenn dein
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