Der Idiot
Weise zum Ausdruck zu bringen.
»Bleibst du hier für die Dauer wohnen?« fragte der Fürst, indem er das Arbeitszimmer musterte.
»Ja, ich bin hier zu Hause. Wo sollte ich auch sonst hin?«
»Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich habe von dir Dinge gehört, die dir gar nicht ähnlich sehen.«
»Was reden die Leute nicht alles!« bemerkte Rogoschin trocken.
»Aber du hast doch deine ganze Leibkohorte weggejagt und wohnst nun
hier im elterlichen Haus und begehst keine tollen Streiche mehr. Das
ist recht schön. Gehört das Haus dir oder euch allen gemeinsam?«
»Das Haus gehört der Mutter. Zu ihr geht es auf der andern Seite des Flurs.«
»Und wo wohnt dein Bruder?«
»Mein Bruder Semjon Semjonowitsch wohnt im Nebengebäude.«
»Ist er verheiratet?«
»Er ist Witwer. Wozu willst du das denn wissen?«
Der Fürst blickte vor sich hin und erwiderte nichts; er war
plötzlich in Gedanken versunken und schien die Frage gar nicht gehört
zu haben. Rogoschin drang nicht auf eine Antwort, sondern wartete
ruhig. Sie schwiegen beide. »Ich habe dein Haus, als ich näherkam, auf
hundert Schritte als das deinige erkannt«, sagte der Fürst.
»Woran denn?«
»Das weiß ich schlechterdings nicht. Dein Haus hat die Physiognomie
eurer ganzen Familie und eures ganzen Rogoschinschen Lebens; wenn du
mich aber fragst, worauf sich diese meine Anschauung gründet, so kann
ich dafür keine Erklärung geben. Es ist natürlich nur Einbildung. Ich
bin sogar in Sorge darüber, daß mich solche Dinge so aufregen. Früher
wäre mir gar nicht der Gedanke gekommen, daß du gerade in einem solchen
Haus wohnen würdest; aber sowie ich es jetzt erblickte, mußte ich
sofort denken: ›Ja, gerade so muß sein Haus aussehen!‹«
»Nun sieh mal an!« versetzte Rogoschin mit einem unbestimmten
Lächeln, ohne den unklaren Gedanken des Fürsten recht zu verstehen.
»Dieses Haus hat noch der Großvater gebaut«, bemerkte er. »Es haben
immer Skopzen darin gewohnt, die Familie Chludjakow; die wohnen auch
jetzt hier zur Miete.«
»Es ist hier so düster. Du sitzt hier auch so im Dunklen«, sagte der Fürst, indem er sich im Arbeitszimmer umsah.
Es war ein großes, hohes, dunkles Zimmer, mit allerlei Möbeln
vollgestellt, meist großen Arbeitstischen, Schreibtischen und
Schränken, in denen Geschäftsbücher und Papiere aufbewahrt wurden. Ein
breites, rotes Ledersofa diente offenbar als Rogoschins Bett. Der Fürst
bemerkte auf dem Tisch, an dem ihn Rogoschin hatte Platz nehmen lassen,
ein paar Bücher; eines von ihnen, Solowjows Geschichte Rußlands, war
aufgeschlagen und mit einem Lesezeichen versehen. An den Wänden hingen
in trüben Goldrahmen einige Ölgemälde, die so dunkel geworden waren,
daß sich auf ihnen schwer etwas erkennen ließ. Ein lebensgroßes Porträt
zog die Aufmerksamkeit des Fürsten auf sich: es stellte einen etwa
fünfzigjährigen Mann dar, in einem langschößigen Rock von deutscher
Fasson, mit zwei Medaillen am Hals, mit einem sehr dünnen, kurzen,
grauen Bart, runzligem, gelbem Gesicht und mißtrauischem,
verschlossenem, finsterem Blick.
»Das ist wohl dein Vater?« fragte der Fürst.
»Ja, das ist er«, antwortete Rogoschin mit einem unangenehmen
Lächeln, als ob er vorhätte, im nächsten Augenblick irgendeinen
ungenierten Scherz über seinen verstorbenen Vater zu machen.
»War er ein Altgläubiger?«
»Nein, er ging in die Kirche; aber er sagte allerdings, der alte
Glaube sei richtiger. Auch vor den Skopzen hat er Achtung gehabt. Dies
hier war sein Arbeitszimmer. Warum fragst du danach, ob er altgläubig
war?«
»Wirst du die Hochzeit hier feiern?«
»J-ja«, antwortete Rogoschin, der bei der unerwarteten Frage zusammenzuckte.
»Werdet ihr bald heiraten?«
»Du weißt ja selbst, daß das nicht von mir abhängt.«
»Parfen, ich bin nicht dein Feind und beabsichtige nicht, dir
irgendwie hinderlich zu sein. Ich wiederhole dir das jetzt ebenso, wie
ich es dir früher einmal in einem fast gleichen Augenblick
ausgesprochen habe. Als in Moskau deine Hochzeit bevorstand, bin ich
dir nicht hinderlich gewesen; das weißt du. Das erstemal kam sie selbst
zu mir hingestürzt, unmittelbar vor der Trauung, und bat mich, sie vor
dir zu ›retten‹. Ich wiederhole dir ihren eigenen Ausdruck. Dann ist
sie auch von mir weggelaufen; du hast sie wieder ausfindig gemacht und
zum Altar geführt, und da ist sie, wie es heißt, wieder von dir
weggelaufen, hierher. Ist das wahr? Mir hat es Lebedjew so mitgeteilt,
und darum bin ich
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