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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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hergereist. Daß ihr euch aber hier wieder geeinigt
habt, das habe ich erst gestern zum erstenmal von einem deiner früheren
Freunde gehört, von Saloschew, wenn du es wissen willst.
Hierhergefahren bin ich aber in folgender Absicht: ich wollte sie
endlich überreden, zur Wiederherstellung ihrer Gesundheit ins Ausland
zu reisen. Sie ist körperlich und seelisch sehr heruntergekommen,
namentlich hat ihr Kopf stark gelitten, und sie bedarf meines Erachtens
sorgsamster Pflege. Ich wollte sie nicht selbst ins Ausland begleiten,
sondern hatte in Aussicht genommen, alles Nötige ohne meine persönliche
Anwesenheit einzurichten. Ich sage dir die reine Wahrheit. Wenn es
wirklich zutrifft, daß ihr euch wieder geeinigt habt, dann werde ich
ihr gar nicht vor Augen treten und auch zu dir nie wieder kommen. Du
weißt selbst, daß ich dich nicht täusche, da ich immer gegen dich
aufrichtig gewesen bin. Wie ich darüber denke, daraus habe ich dir nie
ein Hehl gemacht und habe dir immer gesagt, daß es ihr sicheres
Verderben ist, wenn sie deine Frau wird. Und auch dein Verderben wird
es sein, vielleicht in noch schlimmerem Grad als das ihre. Wenn ihr
euch wieder trenntet, so wäre das für mich eine große Beruhigung; aber
meinerseits euch zu veruneinigen und auseinanderzubringen, ist nicht
meine Absicht. Sei doch ruhig und hege keinen Argwohn gegen mich! Du
weißt ja doch selbst, daß ich niemals dein wirklicher Nebenbuhler
gewesen bin, selbst damals nicht, als sie sich zu mir geflüchtet hatte.
Du lachtest jetzt eben, und ich weiß, warum du es tust. Aber wir haben
dort getrennt gelebt, sie und ich, und dann sogar in verschiedenen
Städten, und du weißt das alles doch ganz genau. Ich habe dir ja auch
schon früher auseinandergesetzt, daß ich sie nicht aus Liebe, sondern
aus Mitleid liebe. Ich meine, ich habe das damals klar dargelegt. Du
sagtest damals, du hättest diese meine Worte verstanden, nicht wahr?
Hast du sie auch wirklich verstanden? Oh, wie voll Haß du mich
ansiehst! Ich bin hergekommen, um dich zu beruhigen, weil auch du mir
teuer bist. Ich habe dich sehr lieb, Parfen. Ich gehe jetzt und komme
niemals wieder. Lebe wohl!«
    Der Fürst stand auf.
    »Bleib noch ein Weilchen bei mir sitzen!« sagte Parfen leise; er
erhob sich nicht von seinem Platz und legte den Kopf in die rechte
hohle Hand. »Ich habe dich lange nicht gesehen.«
    Der Fürst setzte sich wieder. Beide schwiegen.
    »Wenn ich dich nicht vor mir sehe, fühle ich gleich gegen dich einen
Groll, Ljow Nikolajewitsch. In diesen drei Monaten, wo ich dich nicht
gesehen habe, bin ich jeden Augenblick auf dich ergrimmt gewesen, das
weiß Gott! Ich hätte dich vergiften mögen! So steht das. Und jetzt hast
du nun doch nicht eine Viertelstunde bei mir gesessen, und schon ist
mein ganzer Groll vergangen, und du bist mir wieder lieb und wert wie
früher. Bleib noch ein Weilchen bei mir sitzen ...!«
    »Wenn ich bei dir bin, dann glaubst du mir, und wenn ich nicht da
bin, dann hörst du gleich auf, mir zu vertrauen, und hast mich wieder
im Verdacht. Du artest ganz nach deinem Vater«, antwortete der Fürst
freundlich lächelnd und bemüht, seine Rührung zu verbergen. »Ich glaube
dem Klang deiner Stimme, wenn ich bei dir sitze. Ich verstehe ja, daß
wir beide, du und ich, nicht miteinander zu vergleichen sind ...«
    »Warum fügst du das hinzu? Und gleich bist du wieder in gereizter Stimmung«, versetzte der Fürst, der sich über ihn wunderte.
    »Wir werden nicht nach unserer Meinung gefragt, was wir für einen
Charakter haben wollen«, antwortete jener; »der wird ohne unser Zutun
bestimmt. Wir beide lieben ja auch auf verschiedene Weise; es ist eben
in allem ein Unterschied«, fuhr er nach kurzem Stillschweigen leise
fort. »Du liebst sie, wie du sagst, aus Mitleid. Von solchem Mitleid
mit ihr ist bei mir nichts vorhanden. Und sie haßt mich ja auch, haßt
mich mehr als irgendeinen andern Menschen. Ich träume jetzt jede Nacht
von ihr, und zwar immer, daß sie sich mit einem andern über mich lustig
macht. So steht die Sache, Bruder. Sie geht mit mir zum Traualtar und
denkt dabei an mich mit keinem Gedanken; sie hat dabei keine andere
Empfindung, als wenn sie die Schuhe wechselte. Wirst du es glauben?
Fünf Tage habe ich sie nicht gesehen, weil ich nicht wage zu ihr
hinzufahren; ich fürchte, sie fragt mich: ›Warum bist du hergekommen?‹
Und wie oft hat sie mir Schimpf angetan ...«
    »Dir Schimpf angetan? Was redest du!«
    »Als ob du es nicht wüßtest! Sie

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