Der Idiot
›Aglaja‹ zu mir gesagt ... Sie müssen ihr zu einem neuen Leben behilflich sein, Sie sind dazu verpflichtet; Sie müssen mit ihr wieder wegreisen, um ihrem Herzen Frieden und Ruhe wiederzugeben. Und Sie lieben sie ja auch!«
»Ich konnte mich nicht in dieser Weise zum Opfer bringen, obgleich ich es einmal gewollt habe und ... vielleicht auch jetzt möchte. Aber ich weiß bestimmt, daß sie mit mir zugrundegehen würde, und deshalb verlasse ich sie. Ich sollte heute um sieben Uhr zu ihr kommen; aber ich werde jetzt vielleicht nicht hingehen. In ihrem Stolz würde sie mir meine Liebe nie verzeihen, und wir würden beide zugrundegehen! Das ist ja unnatürlich; aber hierbei ist eben alles unnatürlich. Sie sagen, daß sie mich liebt; aber ist denn das wirklich Liebe? Kann man denn, wenn man bedenkt, was ich schon gelitten habe, das für wahre Liebe halten? Nein, das ist etwas anderes, aber nicht Liebe!«
»Wie blaß Sie geworden sind!« rief Aglaja erschrocken.
»Das macht nichts; ich habe nur wenig geschlafen; da bin ich schwach geworden, ich ... Wir haben damals in der Tat von Ihnen gesprochen, Aglaja ...«
»Also, das ist wahr? Sie haben es wirklich fertiggebracht, mit ihr von mir zu sprechen? Und ... und wie war es nur möglich, daß Sie mich liebgewonnen hatten, da Sie mich doch erst ein einziges Mal gesehen hatten?«
»Ich weiß nicht, wie es hat geschehen können. In meinem damaligen verdüsterten Seelenzustand träumte mir, ahnte mir vielleicht etwas von einer neuen Morgenröte. Ich weiß nicht, wie es gekommen ist, daß Sie die erste waren, auf die sich meine Gedanken richteten. Wenn ich Ihnen damals schrieb, ich wisse nicht, wie es zugegangen sei, so war das die Wahrheit. All das war nur ein Hoffnungstraum, der mir infolge meines damaligen Angstzustandes kam ... Ich habe dann angefangen, mich zu beschäftigen, und würde in drei Jahren nicht wieder hergereist sein ...«
»Also sind Sie um ihretwillen hergereist?«
Aglajas Stimme hatte einen zitternden Klang.
»Ja, um ihretwillen.«
Es vergingen etwa zwei Minuten in finsterem Schweigen von beiden Seiten. Aglaja stand von der Bank auf.
»Wenn Sie sagen«, begann sie mit unsicherer Stimme, »wenn Sie selbst glauben, daß diese ... daß diese Frau ... irrsinnig ist, dann gehen mich ihre irrsinnigen Phantasien nichts an ... Ich bitte Sie, Ljow Nikolajewitsch, diese drei Briefe an sich zu nehmen und sie ihr in meinem Namen wieder zuzustellen! Und sagen Sie ihr«, rief Aglaja plötzlich mit erhobener Stimme, »wenn sie sich erdreisten sollte, mir noch einmal auch nur eine Zeile zu schicken, so würde ich mich bei meinem Vater beschweren, und sie würde ins Arbeitshaus gebracht werden ...«
Der Fürst sprang auf und sah Aglaja, ganz erschrocken über ihre plötzliche Wut, an; und auf einmal schien sich ein Nebel vor seinen Augen zu zerteilen ...
»Sie können nicht so fühlen ... das ist nicht wahr!« murmelte er.
»Es ist doch wahr! Es ist doch wahr!« schrie Aglaja, die kaum von sich selbst wußte.
»Was ist wahr? Was soll wahr sein?« ertönte neben ihnen eine ängstliche Stimme.
Vor ihnen stand Lisaweta Prokofjewna.
»Es ist wahr, daß ich Gawrila Ardalionowitsch heiraten werde! Daß ich Gawrila Ardalionowitsch liebe und mit ihm gleich morgen von zu Hause davonlaufen werde!« rief Aglaja ihr heftig zu. »Haben Sie es gehört? Ist Ihre Neugier nun befriedigt? Sind Sie damit einverstanden?« Und sie lief nach Hause.
Lisaweta Prokofjewna hielt den Fürsten zurück. »Nein, lieber Freund«, sagte sie, »geh jetzt nicht weg; tu mir den Gefallen und komm zu mir nach Hause, um mir Aufklärung zu geben ...! Was ist das nur wieder für eine neue Qual! Ich habe auch so schon die ganze Nacht nicht geschlafen.«
Der Fürst ging mit ihr nach Hause.
IX
Als Lisaweta Prokofjewna in ihre Wohnung kam, blieb sie gleich im ersten Zimmer; sie war außerstande weiterzugehen und ließ sich ganz kraftlos auf eine Chaiselongue niedersinken, wobei sie sogar vergaß, den Fürsten zum Platznehmen aufzufordern. Es war dies ein ziemlich großer Saal, mit einem runden Tisch in der Mitte, mit einem Kamin, mit einer Menge Blumen auf Gestellen an den Fenstern, und in der Hinterwand mit einer zweiten Glastür, die nach dem Garten führte. Sogleich kamen Adelaida und Alexandra herein und blickten den Fürsten und ihre Mutter fragend und erstaunt an.
Die jungen Mädchen standen in der Sommerfrische gewöhnlich gegen neun Uhr auf; nur Aglaja hatte es sich in den letzten
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