Der Idiot
gewisser Hinsicht als Torheit hinstellen und Ihnen beweisen, daß ich alles wußte ...«
»Sie sind sehr ungerecht gegen mich und gegen jene unglückliche Frau, von der Sie soeben einen so schrecklichen Ausdruck gebrauchten, Aglaja.«
»Ich habe den Ausdruck deswegen gebraucht, weil ich alles weiß! Ich weiß, daß Sie vor einem halben Jahr vor aller Ohren ihr Ihre Hand antrugen. Unterbrechen Sie mich nicht; Sie sehen, ich führe nur Tatsachen an, ohne eine Kritik daran zu knüpfen. Darauf ist sie mit Rogoschin davongelaufen; dann haben Sie mit ihr in irgendeinem Dorf oder in irgendeiner Stadt zusammen gelebt, und sie ist von Ihnen weggegangen und hat sich zu irgendeinem andern begeben.« (Aglaja errötete stark.) »Dann ist sie wieder zu Rogoschin zurückgekehrt, der sie wie ... wie ein Wahnsinniger liebte. Darauf sind Sie, der Sie ebenfalls ein sehr verständiger Mensch sind, ihr jetzt schleunigst hierher nachgereist, sowie Sie erfahren hatten, daß sie nach Petersburg zurückgekehrt war. Gestern abend haben Sie sich zu ihrem Verteidiger aufgeworfen, und jetzt eben haben Sie von ihr geträumt ... Sie sehen, daß ich alles weiß; Sie sind ja doch um ihretwillen hierher gereist, nicht wahr, um ihretwillen?«
»Ja, um ihretwillen«, antwortete der Fürst leise; er ließ traurig und nachdenklich den Kopf sinken und ahnte nicht, mit was für einem funkelnden Blick Aglaja ihn betrachtete. »Um ihretwillen, nur um zu erfahren ... Ich glaube nicht an ihr Glück mit Rogoschin, obgleich ... kurz, ich weiß nicht, was ich hier für sie tun, wie ich ihr helfen könnte; aber ich bin trotzdem hergekommen.«
Er zuckte zusammen und sah Aglaja an; diese hörte ihm voll Haß zu.
»Wenn Sie hergereist sind, ohne zu wissen, wozu, so lieben Sie sie sehr«, sagte sie schließlich.
»Nein«, versetzte der Fürst, »nein, ich liebe sie nicht. Oh, wenn Sie wüßten, mit welchem Entsetzen ich an jene Zeit zurückdenke, die ich mit ihr verlebte!«
Ein Schauder überlief bei diesen Worten seinen Körper.
»Erzählen Sie mir alles!« sagte Aglaja.
»Es ist nichts darunter, was Sie nicht anhören könnten. Warum ich den Wunsch hegte, gerade Ihnen all dies zu erzählen und einzig und allein Ihnen, das weiß ich nicht; vielleicht weil ich Sie tatsächlich sehr liebte. Diese unglückliche Frau ist fest überzeugt, daß sie das am tiefsten gesunkene, lasterhafteste Wesen der ganzen Welt ist. Oh, reden Sie nicht Übles von ihr, werfen Sie keinen Stein auf sie! Sie hat sich schon selbst mit dem Bewußtsein ihrer unverdienten Schande nur zu sehr gequält! Und was trifft sie denn für eine Schuld, o mein Gott? Oh, alle Augenblicke ruft sie ingrimmig aus, sie bekenne sich nicht schuldig; sie sei das Opfer andrer Leute, das Opfer eines Wüstlings und Bösewichts; aber obgleich sie so redet, ist sie doch die erste, es nicht zu glauben, und ist vielmehr in tiefster Seele davon überzeugt, daß sie selbst daran schuld ist. Sobald ich versuchte, diese ihre düstere Auffassung zu bekämpfen, stieg ihre Seelenpein dermaßen, daß mein Herz, solange ich an diese schreckliche Zeit zurückdenken werde, nie wieder recht fröhlich sein wird. Es ist mir, als hätte ich einen Stich ins Herz bekommen, der nicht aufhört zu bluten. Sie lief von mir weg; wissen Sie, warum? In Wirklichkeit nur, um mir zu beweisen, daß sie ein gemeines Weib sei. Aber das Schrecklichste dabei ist dies: sie wußte vielleicht selbst nicht, daß sie nichts weiter wollte als mir das beweisen, sondern lief weg, weil sie sich innerlich getrieben fühlte, eine schändliche Handlung zu begehen, um sich dann selbst sagen zu können: ›Siehst du, du hast eine neue Schandtat begangen; also bist du ein gemeines Geschöpf!‹ Oh, vielleicht verstehen Sie das nicht, Aglaja! Wissen Sie wohl, daß in diesem steten Bewußtsein der Schande für sie vielleicht ein schrecklicher, unnatürlicher Genuß liegt, eine Art von Rache, die sie an jemand nimmt? Mitunter brachte ich sie dahin, daß sie wieder Licht um sich zu sehen glaubte; aber sofort regte sie sich dann wieder von neuem auf, und das ging so weit, daß sie mich voll Bitterkeit beschuldigte, ich dächte hoch über ihr zu stehen (obgleich mir das nie in den Sinn gekommen war), und mir schließlich, als ich ihr die Ehe anbot, geradezu erklärte, sie verlange von niemand ein hochmütiges Mitleid oder irgendwelche Hilfe oder ein ›zu sich Hinaufheben‹. Sie haben sie gestern gesehen; glauben Sie wirklich, daß sie sich in dieser Gesellschaft
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