Der Idiot
Ardalionowitsch«, sagte der Fürst plötzlich, »daß ich zwar früher in der Tat so krank war, daß ich wirklich fast einem Idioten glich; aber jetzt bin ich schon längst wiederhergestellt, und daher ist es mir einigermaßen unangenehm, wenn man mich, mir ins Gesicht, einen Idioten nennt. Allerdings kann man Ihre Mißerfolge als Entschuldigung für Sie geltend machen; aber Sie haben mich in Ihrem Ärger schon zweimal mit Schimpfnamen belegt. Das mißfällt mir sehr, namentlich auch, da Sie es so ohne weiteres gleich beim Beginn unserer Bekanntschaft tun; und da wir uns jetzt gerade an einer Straßenkreuzung befinden, so ist es wohl das beste, wenn wir uns trennen: gehen Sie rechts nach Ihrer Wohnung, und ich werde nach links gehen. Ich bin im Besitz von fünfundzwanzig Rubeln und werde wohl irgendein Hotel garni finden.«
Ganja wurde höchst verlegen und errötete sogar vor Scham darüber, daß ihm sein Fehler so unerwartet vorgehalten wurde.
»Verzeihen Sie, Fürst!« rief er eifrig, indem er seinen scheltenden Ton schnell mit einem äußerst höflichen vertauschte, »ich bitte Sie inständig, verzeihen Sie mir! Sie sehen, in welcher entsetzlichen Lage ich mich befinde! Sie wissen noch fast nichts darüber; aber wenn Sie alles wüßten, würden Sie mich gewiß wenigstens einigermaßen entschuldigen, wiewohl selbstverständlich mein Verhalten unentschuldbar ist ...«
»Oh, ich beanspruche gar nicht so lange Entschuldigungen«, beeilte sich der Fürst zu erwidern. »Ich begreife ja, daß Ihnen Ihre Lage sehr unangenehm ist und Sie deswegen schimpfen. Nun, dann wollen wir nach Ihrer Wohnung gehen. Ich tue es nun mit Vergnügen ...«
»Nein, so darf ich ihn jetzt nicht davonlassen«, sagte sich Ganja im stillen, während er unterwegs dem Fürsten grimmige Blicke zuwarf. »Dieser schlaue Patron hat mir alle meine Geheimnisse entlockt und nun auf einmal die Maske abgeworfen ... Das hat etwas zu bedeuten. Nun, wir wollen sehen! Es wird sich alles entscheiden, alles, alles! Noch heute!«
Sie standen schon gerade vor dem Haus.
Fußnoten
1 Das geht wohl auf 1. Sam. 13, 14 zurück (A.d.Ü.)
VIII
Ganjas Wohnung befand sich im dritten Stock, zu dem man auf einer sehr sauberen, hellen, breiten Treppe hinaufstieg, und bestand aus sechs oder sieben Stuben und Stübchen, die zwar nur ganz gewöhnlicher Art waren, aber doch jedenfalls nicht recht im Einklang standen mit dem Portemonnaie eines Beamten, der Familie hatte, auch wenn er zweitausend Rubel Gehalt bezog. Bei der Wohnung war jedoch die Aufnahme von Untermietern mit Beköstigung und Bedienung in Aussicht genommen, und sie war von Ganja und seiner Familie erst vor zwei Monaten gemietet worden; und zwar war dies zu Ganjas eigenem größten Mißvergnügen geschehen, auf die inständigen Bitten seiner Mutter Nina Alexandrowna und seiner Schwester Warwara Ardalionowna hin, die den Wunsch hatten, sich für ihrem Teil nützlich zu machen und die Einnahmen der Familie wenigstens um eine Kleinigkeit zu vermehren. Ganja ärgerte sich darüber und nannte das Halten von Untermietern eine Unanständigkeit; er schämte sich dessen gewissermaßen in der Gesellschaft, in der er als ein junger, eleganter Mann mit einer bedeutenden Zukunft sich zu bewegen pflegte. Dieser Druck der Verhältnisse und diese ganze widerwärtige Beengtheit bereiteten ihm tiefe seelische Schmerzen. Seit einiger Zeit regte er sich über jede Kleinigkeit maßlos und viel mehr, als sie wert war, auf, und wenn er sich dazu verstand, vorläufig noch nachzugeben und zu dulden, so tat er dies nur deshalb, weil er bereits entschlossen war, dies alles in nächster Zeit umzuändern und umzugestalten. Indessen stellten ihm gerade diese Umgestaltung, gerade der Ausweg, den er vor sich hatte, eine nicht leichte Aufgabe, eine Aufgabe, deren bevorstehende Lösung mühsamer und qualvoller zu werden drohte als alles Vorhergegangene.
Die Wohnung wurde von einem Korridor durchschnitten, der gleich beim Vorzimmer begann. Auf der einen Seite des Korridors befanden sich die drei Zimmer, die zum Vermieten an »gut empfohlene« Untermieter bestimmt waren; außerdem lag auf derselben Seite des Korridors, ganz am Ende, bei der Küche, ein viertes Zimmerchen, enger als alle übrigen, in welchem das Oberhaupt der Familie, der General a.D. Iwolgin, selbst wohnte; er schlief dort auf einem breiten Sofa und war verpflichtet, wenn er die Wohnung verließ und wiederkam, seinen Weg durch die Küche und über die
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