Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
Vom Netzwerk:
das er eine Minute vorher selbst mit glühendem Eifer zu sprechen begonnen hatte, schnell wieder fallen. Der Fürst erfuhr mit Verwunderung und Bedauern, daß man ihn an diesem Abend ungehindert schon zwei volle Gläser Champagner hatte trinken lassen und daß das vor ihm stehende angefangene Glas schon das dritte war. Aber er erfuhr dies erst später; im Augenblick war er nicht imstande, seine Umgebung genau zu beobachten.
    »Wissen Sie, ich freue mich außerordentlich darüber, daß gerade heute Ihr Geburtstag ist!« rief Ippolit.
    »Warum denn?«
    »Das werden Sie bald sehen; setzen Sie sich nur schnell her! Erstens schon deswegen, weil hier alle unsere Leute zusammengekommen sind. Ich hatte damit gerechnet, daß Leute hier sein würden; zum erstenmal in meinem Leben hat sich eine Rechnung von mir als richtig erwiesen! Aber »Das ist nicht gestattet! Fürst, vor einer halben Stunde haben wir eine Verabredung getroffen: es darf niemand unterbrochen werden, es darf nicht gelacht werden, solange jemand spricht, es soll jeder alles freiheraus sagen dürfen. Nachher können ja auch die Atheisten, wenn sie wollen, ihre Erwiderungen vorbringen. Wir haben den General als Vorsitzenden eingesetzt, jawohl! Denn wie soll es anders gehen? Man könnte jeden, der eine hohe Idee, eine tiefsinnige Idee vorbringt, konfus machen...«
    »Reden Sie doch, reden Sie doch! Niemand wird Sie stören!« riefen mehrere.
    »Reden Sie, aber reden Sie nicht zuviel Unsinn!«
    »Was ist das für ein ›Wermutstern‹?« erkundigte sich jemand.
    »Ich habe keine Ahnung!« antwortete General Iwolgin und nahm mit wichtiger Miene den ihm vorhin zuerkannten Platz als Vorsitzender ein.
    »Ich liebe all diese gereizten Debatten außerordentlich, Fürst, natürlich nur Debatten über gelehrte Themen«, murmelte unterdessen Keller, der in höchster Begeisterung und Ungeduld auf seinem Stuhl hin und her rückte, »über gelehrte und politische Themen«, wandte er sich plötzlich und unerwartet an Jewgenij Pawlowitsch, der in seiner Nähe saß. »Wissen Sie, ich lese furchtbar gern in den Zeitungen die Berichte über die Sitzungen des englischen Parlaments, das heißt, mich interessieren dabei nicht die Gegenstände, über die sie beraten (wissen Sie, ich bin kein Politiker), sondern die Art, wie sie miteinander reden und sich sozusagen wie Staatsmänner benehmen: ›der sehr ehrenwerte Vicomte, der mir gegenübersitzt‹, ›der sehr ehrenwerte Graf, der meine Ansicht teilt‹, ›mein sehr ehrenwerter Gegner, der durch seinen Antrag Europa in Erstaunen versetzt hat‹, das heißt diese ganze Ausdrucksweise, dieser ganze Parlamentarismus eines freien Volkes – das hat für unsereinen etwas Verlockendes. Dafür begeistere ich mich, Fürst. Ich bin immer in tiefster Seele ein Künstler gewesen, das schwöre ich Ihnen, Jewgenij Pawlytsch.«
    »Und was ist nun das Resultat von alledem?« ereiferte sich Ganja an einer anderen Ecke des Tisches. »Ihrer Meinung nach ergibt sich daraus, daß die Eisenbahnen verflucht sind, daß sie das Verderben der Menschheit sind, daß sie eine Pest sind, die die Erde befallen hat, um die ›Quellen des Lebens‹ zu trüben?«
    Gawrila Ardalionowitsch befand sich, wie es dem Fürsten schien, an diesem Abend in einer besonders angeregten, heiteren und beinah triumphierenden Stimmung. Mit Lebedew trieb er offenbar Scherz, indem er ihn aufstachelte, aber er wurde dabei bald selbst hitzig.
    »Nicht die Eisenbahnen, nein!« versetzte Lebedew, der außer sich geriet und zugleich einen maßlosen Genuß empfand. »Was die Quellen des Lebens trübt, das sind nicht speziell die Eisenbahnen, sondern all diese verdammten Dinge zusammen sind verflucht; diese ganze Tendenz der letzten Jahrhunderte mit ihren gesamten wissenschaftlichen und praktischen Zielen ist vielleicht tatsächlich verflucht.«
    »Tatsächlich verflucht oder nur vielleicht verflucht? Das zu wissen ist wichtig«, fragte Jewgenij Pawlowitsch.
    »Verflucht, verflucht, tatsächlich verflucht!« versicherte Lebedew hitzig.
    »Übereilen Sie sich nicht, Lebedew, Sie sind morgens immer viel gutmütiger«, bemerkte Ptizyn lächelnd.
    »Aber dafür bin ich abends offenherziger! Abends bin ich vertraulicher und offenherziger!« rief Lebedew, sich mit Lebhaftigkeit zu ihm wendend. »Aufrichtiger und bestimmter, ehrlicher und achtbarer; und wenn ich euch auch allen damit ins Gesicht schlage, das ist mir ganz gleichgültig. Jetzt fordere ich euch alle heraus, euch Atheisten alle:

Weitere Kostenlose Bücher