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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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künstlerischer Ausdruck dienen können. Man eilt und lärmt und pocht und hastet, wie man sagt, um die Menschheit glücklich zu machen! ›Es wird gar zu geräuschvoll und geschäftig in der Menschheit, es gibt zuwenig geistige Ruhe‹, klagt ein Denker, der sich in die Einsamkeit zurückgezogen hat. ›Das mag sein, aber das Rasseln der Wagen, die der hungrigen Menschheit Brot zuführen, ist vielleicht noch besser als die geistige Ruhe‹, erwidert ihm siegesgewiß ein anderer Denker, einer, der überall geschäftig umherreist, und entfernt sich eitel und selbstgefällig. Aber ich, der schändliche Lebedew, glaube nicht an die Wagen, die der Menschheit Brot zuführen! Denn die Wagen, die der ganzen Menschheit Brot zuführen sollen, können, wenn es ihnen an der sittlichen Grundlage für ihr Handeln fehlt, auch ganz kaltblütig einen beträchtlichen Teil der Menschheit von dem Genuß des zugeführten Brotes ausschließen, was auch schon dagewesen ist...«
    »Die Wagen können ganz kaltblütig ausschließen?« fragte jemand.
    »Was auch schon dagewesen ist«, wiederholte Lebedew, ohne der Frage irgendwelche Beachtung zu schenken. »Es hat schon einen Menschenfreund wie Malthus gegeben. Aber ein Menschenfreund mit schwankender sittlicher Grundlage wird zu einem Menschenfresser, gar nicht zu reden von seiner Eitelkeit: denn man verletze die Eitelkeit irgendeines dieser zahllosen Menschenfreunde, und er wird sofort bereit sein, aus kleinlicher Rachsucht die Welt an allen vier Enden anzuzünden, – übrigens, um die Wahrheit zu sagen, genauso wie jeder von uns und auch ich, der Schändlichste von allen, es tun würde, denn ich würde vielleicht der erste sein, der Holz herbeiträgt und selbst davonläuft. Aber darum handelt es sich jetzt nicht!«
    »Aber um was handelt es sich denn schließlich?«
    »Langweiliges Gerede!«
    »Es handelt sich um das folgende Geschichtchen aus früheren Jahrhunderten, denn ich sehe mich genötigt, ein Geschichtchen aus früheren Jahrhunderten zu erzählen. In unserer Zeit wird in unserem Vaterland, das Sie, meine Herren, wie ich hoffe, ebenso lieben wie ich, denn ich meinerseits bin bereit, sogar all mein Blut dafür zu vergießen...«
    »Weiter! Weiter!«
    »In unserem Vaterland wird, ebenso wie im übrigen Europa, die Menschheit von allgemeinen, weite Landstrecken umfassenden Hungersnöten heimgesucht, und zwar, soweit sich das berechnen läßt und ich mich erinnern kann, jetzt nicht häufiger als einmal im Viertel Jahrhundert, mit anderen Worten einmal alle fünfundzwanzig Jahre. Über die genaue Ziffer will ich mich in keinen Streit einlassen, aber es kommt verhältnismäßig selten vor.«
    »Im Verhältnis wozu?«
    »Im Verhältnis zum zwölften Jahrhundert und den beiderseits anschließenden. Denn damals suchten, wie die Schriftsteller berichten und versichern, allgemeine Hungersnöte die Menschheit alle zwei Jahre oder wenigstens alle drei Jahre einmal heim, so daß bei einer solchen Lage der Dinge die Menschen sogar zum Kannibalismus ihre Zuflucht nahmen, wenn auch nur im geheimen. Einer dieser Übeltäter erklärte, als er zu höherem Alter gelangt war, aus freien Stücken und ohne jeden Zwang, er habe im Laufe seines langen, ärmlichen Lebens persönlich in aller Heimlichkeit sechzig Mönche umgebracht und aufgegessen, dazu noch einige Laienkinder, vielleicht sechs Stück, aber nicht mehr, das heißt außerordentlich wenige im Vergleich zu der Zahl der von ihm verzehrten Geistlichen. An erwachsene Laien hatte er, wie sich herausstellte, sich nie zu diesem Zweck herangemacht.«
    »Das ist unmöglich!« rief der den Vorsitz führende General selbst, in einem Ton, als fühlte er sich persönlich beleidigt. »Ich diskutiere und debattiere häufig mit ihm, meine Herren, und immer über ähnliche Themen, aber meistens bringt er so absurdes, unglaubliches Zeug vor, daß einem ordentlich die Ohren davon weh tun!«
    »General! Denk an die Belagerung von Kars, und Sie, meine Herren, mögen wissen, daß mein Geschichtchen die reine Wahrheit ist. Meinerseits bemerke ich, daß fast jedes tatsächliche Ereignis, wenn es auch auf unabänderlichen Gesetzen beruht, doch etwas Unwahrscheinliches an sich hat. Und je tatsächlicher es ist, um so unwahrscheinlicher kommt es einem manchmal vor.«
    »Aber ist es denn möglich, sechzig Mönche aufzuessen?« rief man ringsum unter Lachen.
    »Er hat sie ja doch offenbar nicht auf einmal gegessen, sondern vielleicht im Laufe von fünfzehn oder zwanzig

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