Labyrinth der Spiegel
01
Die ersten Bewegungen sind am schwierigsten. Das Zimmer ist ziemlich klein, in der Mitte steht ein Tisch, vom Computer ziehen sich Kabel zur unterbrechungsfreien Stromversorgung in der Ecke, von dort aus weiter zur Steckdose. Ein dünnes Kabel führt zur Telefonbuchse. Unter einem bunten Wandteppich steht ein Sofa, vor der offenen Balkontür ein kleiner Kühlschrank. Mehr brauche ich nicht. Vor fünf Minuten habe ich die Vorräte im Kühlschrank überprüft, verhungern werde ich in den nächsten vierundzwanzig Stunden garantiert nicht.
Als ich den Kopf nach rechts und nach links drehe, wird mir kurz schwarz vor Augen, aber das ist gleich wieder vorbei. Kein Grund zur Panik. So was kommt vor.
»Alles in Ordnung, Ljonja?« Die Kopfhörer sind voll hochgedreht. Ich verziehe das Gesicht.
»Ja«, antworte ich, »den Ton leiser.«
»Den Ton leiser«, wiederholt Windows Home. »Leiser, leiser …«
»Das reicht, Vika«, befehle ich. Es ist ein gutes Betriebssystem. Verlässlich, intelligent und kooperativ.
Etwas von sich eingenommen, wie alle Produkte von Microsoft, aber damit musst du dich abfinden.
»Viel Glück«, wünscht mir Vika. »Wann soll ich bereit sein?«
Ich blicke auf den Bildschirm, auf die Stelle, in der in einer Aureole aus orangefarbenen Funken ein Frauengesicht prangt, jung und ganz hübsch, aber nichts Besonderes. Außerdem habe ich von Schönheit inzwischen genug.
»Ich weiß nicht.«
»Ich bräuchte zehn Minuten für den Selbsttest.«
»Gut. Aber nicht länger. In zehn Minuten müssen alle Ressourcen zur Verfügung stehen.«
Das Gesicht auf dem Bildschirm runzelt die Stirn, während die Software die Schlüsselwörter herausfiltert.
»Nur zehn Minuten«, wiederholt Windows Home brav. »Ich mache dich jedoch erneut darauf aufmerksam, dass mein Arbeitsspeicher häufig nicht ausreicht, um die mir gestellten Aufgaben zu bewältigen. Eine Erweiterung auf …«
»Klappe!« Ich stehe auf. Klappe – das ist ein kategorischer Befehl, danach traut sich Vika nicht mehr zu widersprechen. Ich mache einen Schritt nach links, einen nach rechts … bestens. O nein, ich will keinesfalls fliehen – eher kerkere ich mich freiwillig ein. Ich gehe zum Kühlschrank, hole mir eine Dose Sprite raus und öffne sie. Die Limo rinnt mir kalt durch die Kehle. Das ist schon eine Art Ritual, denn in der Tiefe bekomme ich immer einen trockenen Mund. Mit der Dose in der Hand trete ich auf den Balkon, in den warmen Sommerabend hinaus.
In Deeptown ist fast immer Abend. Leuchtreklamen überfluten die Straßen mit ihrem Licht, die dahinschießenden Autos brummen leise. Die Menschen bewegen sich in einem gewaltigen Strom vorwärts. Fünfundzwanzig Millionen ständige Einwohner, die größte Metropole der Welt. Von meinem zehnten Stock aus kann ich die Gesichter natürlich nicht erkennen. Ich trinke die Sprite aus, werfe die Dose nach unten und kehre zurück ins Zimmer.
»Wie unfein«, brummt der PC. Ohne auf ihn zu reagieren, gehe ich in die Diele, ziehe mir Schuhe an und öffne die Wohnungstür. Das Treppenhaus ist leer, hell und sehr, sehr sauber. Während ich am Schloss herumhantiere, versucht eine winzige Wanze durch die noch halboffene Tür in die Wohnung zu kriechen. Ach ja, amüsieren sich die Lamer mal wieder! Ich habe für das dreiste Insekt bloß einen ironischen Blick übrig, denn in meiner Wohnung zieht es – so dass es immer wieder zurückgetragen wird. Als ich endlich die Tür schließe, knallt die Wanze bereits völlig ausgelaugt dagegen. Es gibt eine kurze Explosion, und das Ding trudelt zu Boden.
»Soll ich beim Hausbesitzer Beschwerde einlegen?«, fragt Windows Home. Die Stimme kommt nun aus silbernen Nadeln am Revers meines Hemdes.
»Ja«, antworte ich. Ich vergesse ständig, Vika klarzumachen, dass ich selbst der Hausbesitzer bin.
Der Fahrstuhl wartet in meinem Stockwerk. Normalerweise nehme ich die Treppe … und schiele dabei in fremde Wohnungen rein. Da wohnt sowieso niemand. Aber jetzt habe ich es eilig. Der Aufzug bringt mich im null Komma
nichts nach unten. Als ich aus dem Haus trete, spähe ich die Straße hinunter. Ob sich der Insektenfan noch hier herumdrückt? Aber nein, nirgends entdecke ich eine verdächtige Person, alle haben es verdammt eilig. Die Wanze ist ohne Frage importierte Massenware. Auf der Straße werden die Dinger vergiftet, in den Wohnungen erschlagen – trotzdem sterben diese Viecher nicht aus.
Früher habe ich mich selbst mal mit solchem Quatsch
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