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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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er ihn bald wieder loswurde, aber Lebedew versuchte doch noch, sich nach dem gestrigen Anfall zu erkundigen, obgleich er offenbar darüber bereits in allen Einzelheiten orientiert war. Nach ihm kam Kolja angelaufen, ebenfalls nur auf einen Augenblick; er hatte es wirklich eilig und befand sich in einer starken, düsteren Unruhe. Er begann damit, daß er den Fürsten geradeheraus und inständig bat, ihm alles mitzuteilen, was man ihm noch verberge; das meiste habe er schon am gestrigen Tag erfahren. Er war tief und heftig erschüttert.
    Mit aller Teilnahme, deren er nur fähig war, erzählte ihm der Fürst den ganzen Hergang, indem er die Tatsachen mit größter Genauigkeit wiedergab; sein Bericht traf den armen Jungen wie ein Donnerschlag. Er vermochte kein Wort herauszubringen und weinte schweigend. Der Fürst fühlte, daß dies einer jener Eindrücke war, die sich nie wieder verwischen und im Leben eines Jünglings einen Wendepunkt bilden. Er beeilte sich, ihm seine Ansicht über die Angelegenheit mitzuteilen, und fügte hinzu, daß seiner Ansicht nach auch der Tod des alten Mannes seine Ursache vielleicht hauptsächlich in dem Gefühl des Schreckens gehabt habe, das in seinem Herzen nach dem Vergehen zurückgeblieben sei, und daß zu so etwas nicht jeder Mensch fähig wäre. Koljas Augen funkelten, als er den Fürsten so reden hörte.
    »Abscheuliche Menschen sind Ganja und Warja und Ptizyn! Ich werde mich nicht mit ihnen herumstreiten, aber unsere Wege gehen von nun an auseinander! Ach, Fürst, ich habe seit gestern sehr viel neue Empfindungen Da hatte sich Lisaweta Prokofjewna auf einmal umgedreht und gesagt: »Also wir kommen jetzt bei ihm vorbei. Wie nun auch Aglaja darüber denken und was sich auch weiter ereignen mag, jedenfalls ist er kein Fremder, und jetzt ist er obendrein unglücklich und krank; ich wenigstens werde jetzt zu ihm gehen und ihn besuchen. Wer mit mir kommen will, kann es tun, wer es nicht will, kann vorbeigehen; der Weg ist nicht versperrt.«
    Alle waren selbstverständlich mitgekommen. Der Fürst beeilte sich, wie es sich gehörte, noch einmal wegen der gestrigen Vase und... wegen des Skandals um Verzeihung zu bitten.
    »Na, es hat nichts auf sich«, antwortete Lisaweta Prokofjewna. »Um die Vase ist es nicht weiter schade, sondern um dich. Also merkst du jetzt selbst, daß es ein Skandal war; da sieht man, was es bedeutet: ›sich eine Sache beschlafen‹. Aber auch das macht nichts, da jeder jetzt sieht, daß du dafür nicht verantwortlich gemacht werden kannst. Nun aber auf Wiedersehen; wenn du dazu imstande bist, so geh ein bißchen spazieren und lege dich dann wieder schlafen – das ist mein Rat. Und wenn du magst, so besuche uns wie früher; sei ein für allemal versichert, daß, was sich auch ereignen und begeben mag, du doch immer ein Freund unseres Hauses bleibst, wenigstens mein Freund. Für mich wenigstens kann ich einstehen ...«
    Auf diese Herausforderung reagierten alle und stimmten der Mama bei. Sie gingen fort, aber in Lisaweta Prokofjewnas gutmütiger Eile, etwas Freundliches und Ermutigendes zu sagen, hatte doch eine arge Grausamkeit verborgen gelegen, was ihr gar nicht zum Bewußtsein gekommen war. In der Einladung, »wie früher« zu kommen, und den Worten »wenigstens mein Freund« wiederum hatte eine Art Voraussagung gelegen. Der Fürst rief sich Aglajas Verhalten ins Gedächtnis zurück; gewiß, sie hatte ihm sehr freundlich zugelächelt, beim Kommen und beim Abschied, hatte aber kein Wort gesagt, nicht einmal da, als alle ihm ihre Freundschaft versicherten, obgleich sie ihn zweimal unverwandt angesehen hatte. Ihr Gesicht war ungewöhnlich blaß gewesen, als hätte sie die Nacht schlecht geschlafen. Der Fürst nahm sich vor, am Abend unbedingt »wie früher« zu ihnen zu gehen, und blickte in fieberhafter Erregung nach der Uhr. Da trat, gerade drei Minuten, nachdem Jepantschins weggegangen waren, Wera ins Zimmer.
    »Lew Nikolajewitsch, Aglaja Iwanowna hat mir soeben heimlich eine Bestellung an Sie aufgetragen.«
    Der Fürst begann ordentlich zu zittern.
    »Ein Billett?«
    »Nein, eine mündliche Bestellung; auch dazu hatte sie nur knapp Zeit. Sie läßt Sie dringend bitten, heute den ganzen Tag das Haus auch nicht eine Minute zu verlassen, bis sieben Uhr abends oder sogar bis neun Uhr, das habe ich nicht ganz deutlich gehört.«
    »Ja... warum denn? Was bedeutet das?«
    »Das weiß ich nicht; aber sie hat mir aufs strengste befohlen, es auszurichten.«
    »Hat sie

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