Der Idiot
seine Aufmerksamkeit zugewandt hatte, spielte eine besondere Rolle das Verhältnis, in dem der Fürst unlängst zu Nastasja Filippowna gestanden hatte; er hatte davon etwas gehört, interessierte sich sehr dafür und wollte sogar danach fragen.
Die alte Bjelokonskaja sagte, als sie am Abend wegfuhr, zu Lisaweta Prokofjewna:
»Na ja, er hat sein Gutes und sein Schlechtes; aber wenn du meine Meinung wissen willst, so muß ich sagen: das Schlechte überwiegt. Du siehst ja selbst, was er für ein Mensch ist, ein kranker Mensch!«
Lisaweta Prokofjewna kam zu der endgültigen Überzeugung, daß er als Bräutigam »unmöglich« sei, und nahm sich beim Schlafengehen vor, solange sie lebe, solle der Fürst nicht der Mann ihrer Aglaja werden. Mit diesem Entschluß stand sie auch am Morgen auf. Aber noch an demselben Vormittag, zwischen zwölf und ein Uhr, beim Frühstück, setzte sie sich in einen wunderlichen Widerspruch zu sich selbst.
Auf eine übrigens sehr behutsame Frage der Schwestern antwortete Aglaja kalt und hochmütig, als wolle sie die Sache damit abtun: »Ich habe ihm nie mein Wort gegeben und ihn nie in meinem Leben als meinen Bräutigam betrachtet. Er steht mir ebenso fern wie jeder andere.«
Da fuhr Lisaweta Prokofjewna plötzlich auf.
»Das hatte ich nicht von dir erwartet«, sagte sie gekränkt. »Daß er als Bräutigam unmöglich ist, weiß ich, und Gott sei Dank, daß es so gekommen ist; aber von dir hätte ich solche Reden nicht erwartet. Ich hatte geglaubt, du würdest dich anders dazu stellen. Ich würde am liebsten alle, die gestern hier waren, fortjagen und ihn allein dabehalten, so ein Mensch ist das!...«
Hier brach sie plötzlich ab, da sie über das, was sie gesagt hatte, selbst einen Schreck bekam. Aber wenn sie gewußt hätte, wie sehr sie ihrer Tochter in diesem Augenblick unrecht tat! Aglaja hatte sich in ihrem Kopf schon alles zurechtgelegt; auch sie wartete auf ihre Stunde, die alles entscheiden sollte, und jede Andeutung, jede unvorsichtige Berührung schlug ihrem Herzen eine tiefe Wunde.
VIII
Auch für den Fürsten begann dieser Tag damit, daß er sich von schlimmen Ahnungen bedrückt fühlte; diese ließen sich zwar durch seinen krankhaften Zustand erklären, aber seine Traurigkeit hatte doch einen gar zu unbestimmten Charakter, und das war für ihn das qualvollste. Gewiß standen ihm bestimmte Tatsachen deutlich vor Augen, schmerzliche, peinliche Tatsachen, aber seine Traurigkeit ging doch über alles hinaus, was ihm Gedächtnis und Denkkraft als Stoff dafür boten; er sah ein, daß er sich nicht beruhigen würde, wenn er allein bliebe. Allmählich setzte sich in seinem Kopf die Erwartung fest, daß noch an diesem Tag mit ihm etwas Besonderes und Entscheidendes geschehen würde. Der Anfall, den er tags zuvor gehabt hatte, war leichter gewesen: außer einer starken Niedergeschlagenheit, einer gewissen Schwere im Kopf und Schmerzen in den Gliedern fühlte er keine andere gesundheitliche Störung. Sein Kopf arbeitete durchaus normal, obgleich die Seele krank war. Er stand sehr spät auf und erinnerte sich sofort mit aller Deutlichkeit an den gestrigen Abend; auch daran erinnerte er sich, freilich nicht ganz klar, daß man ihn eine halbe Stunde nach dem Anfall nach Hause gebracht hatte. Er erfuhr, daß bereits ein Bote von Jepantschins bei ihm erschienen war, um nach seinem Befinden zu fragen. Um halb zwölf erschien ein zweiter; das war ihm angenehm. Wera Lebedewa war die erste, die ihn besuchte und für ihn sorgte. Im ersten Augenblick, als sie ihn erblickte, fing sie plötzlich an zu weinen; aber als der Fürst sie gleich beruhigte, lachte sie. Ihn überraschte das starke Mitgefühl, das dieses Mädchen für ihn empfand; er ergriff ihre Hand und küßte sie. Wera errötete.
»Ach, was tun Sie, was tun Sie!« rief sie erschrocken und zog schnell ihre Hand weg.
Sie ging in seltsamer Aufregung bald wieder weg. Unter anderm hatte sie ihm erzählt, ihr Vater sei an diesem Tage schon ganz frühmorgens zu dem »Dahingeschiedenen« gelaufen, wie er den General nannte, um nachzufragen, ob er in der Nacht gestorben sei; es verlaute, er werde wahrscheinlich bald sterben. Kurz vor zwölf Uhr kam auch Lebedew selbst nach Hause und zum Fürsten, aber eigentlich »nur auf einen Augenblick, um sich nach dem kostbaren Befinden zu erkundigen«, und so weiter und außerdem dem »Schränkchen« einen Besuch abzustatten. Da er nichts anderes tat als ächzen und stöhnen, so machte der Fürst, daß
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