Der indigoblaue Schleier
harrte seiner, wen kümmerte da ein wenig Regen? Was war nur mit ihm los? Überkam ihn etwa ein Anflug von Wehmut?
Während die Matrosen mit Rah- und Lateinersegel beschäftigt waren und bereits die Taue zum Festmachen bereitlegten, dachte Miguel an die vergangenen Monate zurück, an die Entbehrungen und die Ängste, die nicht ihn allein geplagt hatten. Oh nein, niemals würde er
wehmütig
an die Stürme am Kap der Guten Hoffnung zurückdenken, als er geglaubt hatte, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Und nein, nie wieder wollte er auch nur einen Tropfen frischen Süßwassers verschwenden, nicht, nachdem er monatelang von einer abgestandenen, verschmutzten Brühe hatte leben und sich mit Salzwasser hatte waschen müssen. Er wollte sich nie wieder im Bett festzurren müssen, weil der Seegang so schwer war, dass jeder lose Gegenstand zum tödlichen Geschoss werden konnte.
Was er hingegen vermissen würde, das war die Kameradschaft, die die Männer an Bord zusammengeschweißt hatte. Auch der Respekt, den man ihm entgegengebracht hatte – wohlverdient, nachdem er einen Falschspieler enttarnt hatte –, würde ihm fehlen.
Daheim in Lissabon war man ihm nie mit Achtung begegnet. Die einen hatten Mitleid mit ihm gehabt, weil er der Zweitgeborene war und damit als Erbe des großen Handelshauses seines Vaters nicht in Frage kam. Die anderen hatten ihn milde belächelt, weil er zu viel Unfug anstellte, genau wie andere junge Männer aus reichem Hause auch. Da waren Besäufnisse und Raufereien an der Tagesordnung, und beinahe jeder hatte Verständnis dafür, dass junge Burschen wie er einfach noch nicht reif genug waren, ihr Studium in Coimbra mit der gebotenen Ernsthaftigkeit zu betreiben.
Wieder andere hatten ihn gehasst. Leute wie der Vater des Mädchens etwa, das behauptet hatte, Miguel habe es entehrt. In Wahrheit verhielt es sich so, dass die junge Frau in anderen Umständen war, weil sie sich selber entehrt und gleich mit mehreren Männern angebändelt hatte. Und er, Miguel Ribeiro Cruz, sollte nun als Vater des Bastards herhalten, wahrscheinlich, weil ihr seine Familie als unermesslich reich erschien. Miguel war sicher kein Chorknabe, aber diese Person hatte er kaum je angeschaut, geschweige denn angerührt. Er kannte sie gar nicht wirklich, nur ihr falsches, zu lautes Lachen, das durch das Wirtshaus hallte, war ihm noch lebhaft in Erinnerung. Der Vater dieser Frau also trachtete Miguel jetzt nach dem Leben, weil er sich geweigert hatte, die Verantwortung zu übernehmen.
Ha! Wer seiner Verantwortung nicht gerecht geworden war, war der Vater des Mädchens selbst, der seine Tochter offensichtlich nicht im Griff hatte, und Miguel hatte ihm dies deutlich zu verstehen gegeben. Weiterhin hatte er den vor Wut tobenden Mann darüber aufgeklärt, was seine Tochter so trieb – und dass es eine Handvoll Männer gebe, die das Ungemach der Maid verschuldet haben könnten. Namen nannte er allerdings keine. All dies war vor zahlreichen Zeugen geschehen, nämlich an einem Sonntag auf dem Kirchplatz, als die Leute gerade die Messe verließen. Ebenfalls vor all diesen Zeugen hatte der Mann den Schwur ausgestoßen, Miguel zu töten, falls er seine Tochter nicht ehelichte. Es war zu einem Tumult gekommen, bei dem sogar der Pfarrer meinte, die Partei des armen Vaters ergreifen zu müssen, woraufhin Miguel sich wortlos abgewandt hatte und davongegangen war.
Das Schlimmste war nicht gewesen, dass das Mädchen ihn zum Sündenbock hatte machen wollen, und auch nicht, dass ihr Vater außer sich war vor Empörung. All das konnte man nachvollziehen. Viel verletzender war, dass niemand Miguel Glauben schenkte. Der Pfarrer hielt ihn anscheinend allein aufgrund seines Aussehens für einen Taugenichts. Die juristische Fakultät der Universität warf ihn hochkant hinaus, als sie von seinem »feigen Verhalten« sowie von dem Auflauf vor der Kirche erfahren hatte. Nicht einmal seine Familie hielt zu ihm. Seine Mutter glaubte ihn zu trösten, als sie sagte: »Selbstverständlich heiratet ein Ribeiro Cruz keine Küchenmagd!«, aber sie entsetzte Miguel damit eher. Sie schien zu glauben, dass es verzeihlich war,
so eine
zu schwängern, nicht aber, sie zu heiraten. Sein Vater wiederum tat das Ganze als Jugendsünde ab. »Das kann passieren, Junge. In zwei, drei Jahren ist Gras über die Sache gewachsen. Am besten wird es daher sein, wenn du erst einmal verschwindest, nachher kommt dieser Tölpel noch auf die Idee, seine Drohung wahr zu
Weitere Kostenlose Bücher