Der Janusmann
mit ihm?«, erkundigte ich mich.
Sie verzog das Gesicht, als wüsste sie das nicht so genau. »Er hat sich ein bisschen hingelegt.«
Ich nickte. Ließ die Hand los. Danach folgte verlegenes Schweigen.
»Ich bin Elizabeth Beck«, sagte sie.
»Jack Reacher«, erwiderte ich.
»Mein Sohn hat mir Ihr Dilemma geschildert«, sagte sie.
Das war ein nettes neutrales Wort. Wog man Dankbarkeit gegen Abscheu ab, gelangte man vermutlich zu diesem neutralen Ausdruck. Ich sagte nichts.
»Mein Mann kommt am Abend nach Hause«, fuhr sie fort. »Er wird wissen, was zu tun ist.«
Ich nickte. Wieder trat eine verlegene Pause ein. Ich wartete.
»Wollen Sie nicht hereinkommen?«, erkundigte sie sich.
Sie wandte sich um und eilte in die Eingangshalle zurück. Ich folgte ihr. Als ich durch die Tür ging, piepste etwas. Ich sah auf und stellte fest, dass am inneren Türrahmen ein Metalldetektor angebracht war.
»Wären Sie so freundlich?«, fragte Elizabeth Beck. Sie machte eine verlegene Handbewegung, die mich und den hässlichen Kerl im Anzug einbezog. Er schickte sich an, mich nach Waffen zu durchsuchen.
»Zwei Revolver«, sagte ich. »Ungeladen. In meinen Manteltaschen.«
Er zog sie mit geübten Bewegungen heraus und legte sie auf einen Beistelltisch. Dann ging er in die Hocke, ließ die Hände über meine Beine gleiten, stand wieder auf und tastete Arme, Hüften, Brust und Rücken ab. Er arbeitete sehr gründlich und nicht gerade sanft.
»Tut mir Leid«, sagte Elizabeth Beck.
Der Kerl in dem Anzug ging auf Abstand. Eine weitere verlegene Pause entstand.
»Brauchen Sie irgendetwas?«, fragte Elizabeth Beck.
Es gab viele Dinge, die ich hätte brauchen können. Aber ich schüttelte den Kopf.
»Ich bin ein bisschen müde«, entgegenete ich. »Langer Tag. Am liebsten würde ich ein Nickerchen machen.«
Sie lächelte flüchtig, als wäre sie darüber erleichtert, als befreite sie die Tatsache, dass ich irgendwo schlief, von gesellschaftlichen Zwängen.
»Natürlich«, sagte sie. »Duke zeigt Ihnen das Zimmer.«
Sie ließ ihren Blick noch einen Moment länger auf mir ruhen. Dachte man sich den Stress und die Blässe weg, war sie eine sehr attraktive Frau. Sie hatte ein fein geschnittenes Gesicht und einen makellosen Teint. Sie drehte sich um und verschwand irgendwo im Haus. Ich wandte mich dem Kerl im Anzug zu, da ich annahm, dass er Duke sei.
»Wann kriege ich die Revolver wieder?«, wollte ich wissen.
Er gab keine Antwort, zeigte nur auf die Treppe und folgte mir. Deutete auf die nächste Treppe, über die wir in den zweiten Stock gelangten. Er führte mich zu einer Tür und öffnete sie. Ich trat ein und befand mich in einem schlichten quadratischen Zimmer mit schweren, antiken Möbeln und Eichenpaneelen an den Wänden. Auf dem Fußboden lag ein abgetretener Orientteppich – vielleicht ein wertvolles altes Stück. Duke ging an mir vorbei, durchquerte den Raum und zeigte mir, wo sich das Bad befand. Er benahm sich wie ein Hotelpage.
»Abendessen um acht«, sagte er, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich. Als ich sie kontrollierte, war sie von außen zugesperrt. Innen besaß sie kein Schlüsselloch. Ich trat ans Fenster und schaute hinaus. Das Zimmer lag auf der Rückseite des Hauses, sodass ich nur den Atlantik sehen konnte. Ich blickte genau nach Osten. Fünfzehn Meter unter mir lagen Felsen, an denen sich die Brandung brach. Die Flut schien eben hereinzukommen.
Ich ging wieder zur Tür, hielt ein Ohr daran und horchte angestrengt. Hörte nichts. Ich suchte die Decke, die Randleisten der Paneele und die Möbelstücke sehr sorgfältig ab. Nichts. Keine Kameras. Mikrofone waren mir egal. Ich hatte nicht vor, Geräusche zu machen. Ich setzte mich aufs Bett, zog den rechten Schuh aus, drehte ihn um und benützte die Fingernägel, um einen Stift aus dem Absatz zu ziehen. Schwenkte den Gummiabsatz wie eine kleine Tür, drehte den Schuh wieder um und schüttelte ihn. Ein rechteckiges Kästchen aus schwarzem Kunststoff fiel aufs Bett, ein E-Mail-Sender. Nichts Ausgefallenes. Ein handelsübliches Gerät, das jedoch so umprogrammiert war, dass es nur an eine Adresse sendete. Es hatte in etwa die Größe eines Piepsers und eine Minitastatur. Ich schaltete es ein und tippte eine Kurznachricht. Dann drückte ich auf jetzt senden .
Die Nachricht lautete: Ich bin drin.
2
Tatsächlich war ich zu diesem Zeitpunkt schon elf volle Tage drin , seit einem feucht glänzenden Samstagabend in Boston, an dem ich bemerkte, wie
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