Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Janusmann

Der Janusmann

Titel: Der Janusmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
Vom Netzwerk:
ein toter Mann den Gehsteig überquerte und in eine Limousine stieg. Und dies war keine Illusion, keine optische Täuschung. Es handelte sich nicht um ein Double, einen Zwillingsbruder, einen Bruder oder einen Cousin. Ich sah einen Mann, der vor einem Jahrzehnt gestorben war. Ganz ohne Zweifel. Er war die entsprechende Anzahl von Jahren gealtert und wies die Narben der Wunden auf, die ihn getötet hatten.
    Ich war spätabends auf der Huntington Avenue unterwegs zu einer Bar, von der ich gehört hatte. Aus der Symphony Hall strömte Konzertpublikum. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge. Auf der Fahrbahn parkten Autos und Taxis in zwei Reihen. Ihre Motoren liefen. Ich entdeckte den Mann, als er links von mir aus der Tür des Foyers trat. Er trug einen Kaschmirmantel, hielt Handschuhe und einen Schal in der Hand und war barhäuptig. Er war ungefähr fünfzig. Wir waren beinahe zusammengestoßen. Ich blieb stehen. Er blieb stehen, sah mir ins Gesicht. Im ersten Moment dachte ich, er erkenne mich nicht wieder. Dann huschte ein Schatten über sein Gesicht, bevor er an mir vorbeiging und im Fond eines am Randstein wartenden schwarzen Cadillacs verschwand. Ich stand da und beobachtete, wie der Chauffeur sich in den Verkehrsstrom einordnete und davonfuhr.
    Ich merkte mir das Kennzeichen. Ich geriet nicht in Panik, stellte nichts in Frage. Glaubte, was ich mit eigenen Augen gesehen hatte. Zehn Jahre Geschichte wurden in einer einzigen Sekunde über den Haufen geworfen. Der Kerl lebt noch. Was mich vor ein riesiges Problem stellte.
    Das war der erste Tag. Ich verschwendete keinen Gedanken mehr an die Bar, ging geradewegs in mein Hotel zurück und begann, alte Nummern aus meiner Zeit bei der Militärpolizei anzurufen. Ich brauchte jemanden, den ich kannte und dem ich vertrauen konnte. Aber ich war schon sechs Jahre draußen, und da es zudem Samstagabend war, standen meine Chancen schlecht. Zuletzt begnügte ich mich mit jemandem, der behauptete, er habe schon mal von mir gehört. Er war Fachdienstoffizier und hieß Powell.
    »Sie müssen für mich herausfinden, wem ein bestimmtes Autokennzeichen gehört«, erklärte ich ihm. »Als persönlichen Gefallen.«
    Da er wusste, wer ich war, konnte er mir meine Bitte nicht abschlagen. Ich gab ihm das Kennzeichen, sagte, es gehöre ziemlich sicher zu einem Privatwagen, nicht zu einem Mietauto mit Chauffeur. Er ließ sich meine Nummer geben und versprach, mich am nächsten Morgen zurückzurufen. Das würde dann der zweite Tag sein.
     
    Er rief mich nicht zurück. Stattdessen verriet er mich. Unter diesen Umständen hätte das jeder getan, denke ich. Der zweite Tag war ein Sonntag. Ich stand früh auf, ließ mir vom Zimmerservice ein Frühstück bringen und wartete auf den Anruf. Kurz nach zehn klopfte jemand an meine Tür. Ich spähte durch den Spion und sah zwei Personen – einen Mann und eine Frau. Dunkle Jacketts. Keine Mäntel. Der Mann trug einen Aktenkoffer. Beide hielten eine Art Dienstausweis hoch.
    »Federal Agents«, sagte der Mann gerade so laut, dass ich ihn durch die Tür hindurch verstehen konnte.
    In einer solchen Situation kann man nicht einfach so tun, als sei man nicht da. Ich hatte früher oft genug zu den Typen auf dem Flur gehört. Einer bleibt vor der Tür stehen, während der andere nach unten geht, um den Portier mit dem Generalschlüssel zu holen. Deshalb öffnete ich einfach die Tür, trat zur Seite und ließ sie ein.
    Anfangs waren sie argwöhnisch. Als sie jedoch erkannten, dass ich unbewaffnet war und nicht wie ein Verrückter aussah, entspannten sie sich. Sie reichten mir ihre Dienstausweise und warteten höflich, während ich sie studierte. Oben stand: United States Department of Justice. Unten las ich: Drug Enforcement Administration. In der Mitte befanden sich alle möglichen Siegel, Unterschriften und Wasserzeichen. Auch Passfotos und maschinengeschriebene Namen. Der Mann war als Steven Eliot eingetragen – mit einem l wie der alte Dichter. April ist der grausamste Monat. Das stimmte genau. Das Foto war ziemlich gut getroffen. Er schien zwischen dreißig und vierzig zu sein, war stämmig, hatte schwarze Haare und ein nettes Lächeln. Die Frau hieß Susan Duffy, war blass und schlank, etwas jünger und größer als Eliot und hatte jetzt eine andere Frisur als auf dem Foto.
    »Nur zu«, sagte ich. »Durchsucht das Zimmer. Es ist lange her, dass ich was besaß, das ich vor euch hätte verbergen wollen.«
    Ich gab ihnen die Dienstausweise zurück. Als

Weitere Kostenlose Bücher