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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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konnten links den Ararat sehen, auf dem nach der Sintflut die Arche Noah landete, und vor sich den nächsten Gebirgszug und den Paß, der hindurchführte, und das Licht auf seinem Kamm. Ein kaltes Licht, das allen Grenzen eigen ist, ein Licht für Stacheldraht, scharfe Hunde und lauernde Lastwagen. Das Tor nach Persien. Bazargan.
    Die Lastwagen gehörten, wie sich bald herausstellte, einem Afghanen in mittleren Jahren, von dem ich guten Gewissens sagen kann, daß ich Menschen wie ihn bis dahin nur in Bilderbüchern gesehen hatte. Lederhaut-Menschen, Kaftanträger, bunte Turbane, wilde Bärte, Augen wie Pferdehändler, Autohändler in diesem Fall. Der Afghane hatte vier Lkws, einen Bus und einen Pkw gebraucht in München erstanden, und an der persischen Grenze kamen ihm die türkischen Fahrer abhanden, und dann hat er uns gesehen. Sechs Hippies ohne Fahrzeug, sechs Fahrzeuge ohne Fahrer. Schrott aus dem Westen, der zusammengehört. Allah hat es arrangiert.
    Der Deal: Wir fahren seine Karawane nach Afghanistan und bezahlen nichts dafür. Das Problem: Der einzige ohne Führerschein bekommt das größte Gerät. Warum? Weil ich lange blonde Haare hatte? Weil ich ein Milchgesicht war? Oder weil eine Erinnerung in mir schlummerte, wie ich mich auf Vaters Schoß an einem Lenkrad festhielt, als ich drei Jahre alt war? Man weiß es nicht. Ich bekam den Bus. Fünfzig Sitzplätze und, wie mir schien, auch fünfzig Meter lang.
    Ein Benz. Ein Diesel, vier Gänge, drei Pedale. Eins für Gas, eins, um den Kopf an die Windschutzscheibe zu knallen, und eins, dessen Funktion ich nicht sogleich verstand. Wichtig wurde zudem das Zusammenspiel von Fuß und Hand, und wäre der Bus ein Karnickel gewesen, dann würde ich sagen, es war artgerecht, wie ich ihn vom Straßenrand aus in Bewegung setzte.
    Die ersten tausend Kilometer bis Teheran erwiesen sich dann in der Tat als ideal für den Anfänger am Steuer, denn sie waren asphaltiert. Nach drei Tagen konnte ich kuppeln und zwischenkuppeln und die Kupplung langsam kommen lassen, und ich konnte auch mit der Kupplung bremsen, denn die Bremse selbst hatte die Eigenart, daß sie zweimal getreten werden mußte, bevor sie beim dritten Mal ihre Arbeit aufnahm. Unter Automobilisten wird das «pumpen» genannt. Ein ganz normaler Vorgang. Nur der Schaltknüppel verhielt sich unnormal. Er schien aus Gummi zu sein. Das war mein erster Eindruck. Mein zweiter: Er ist ein übergroßer Suppenlöffel, den man durchs Getriebe rührt. Und der dritte: Hier geht es nicht mehr ums Schalten, sondern um spirituelles Movement. Also um Mitschwingen und den richtigen Moment.
    Thema Lenkrad: Am liebsten würde ich es hier aufzeichnen, so gern habe ich es in der Hand gehabt. Es war groß und grau und hatte in der Mitte eine Hupe, und an der wurde ich zum Mann, sobald am Horizont irgend etwas auftauchte, was ein Hindernis zu werden versprach. Menschen, Esel, Hunde, Hühner wurden gewarnt, denn ich veränderte mich radikal. Ich lenkte einen zwanzig Tonnen schweren ehemaligen Münchner Linienbus durch die persische Provinz Aserbaidschan und gewöhnte mir an, ein Stirnband zu tragen. Noah war hier, Xerxes war hier, Alexander der Große war hier, später auch Harun al-Raschid und Dschingis Khan. Jetzt war Helge, der Trucker, geboren. Staub und Schweiß wurden sein Lieblingsparfum.
    In Teheran bekam der Bus nagelneue Stoßdämpfer. Die Stadt war damals die westlichste aller orientalischen Metropolen, und Mercedes-Niederlassungen gab es überall. Sie reparierten auch das Differential und die Scheibenwischer. Die Stadt liegt auf demselben Breitengrad wie Zypern und Kreta, nach Teheran standen Temperaturen wie in Südalgerien an. Dafür hätte ich eine Klimaanlage gebraucht. Aber die haben sie nicht eingebaut. Der Bus blieb zwei Tage in der Werkstatt, und der Verkehr in der persischen Hauptstadt bot genügend Dichte, um mir die nächste Lektion in der Schule des Lebens zu erteilen: urbanes Fahren. Die Kombination von urban und Turban bedeutet zwar überall auf der Welt Anarchie (keine Macht für niemand) und Darwinismus (der Stärkere hat Vorfahrt), aber in Teheran war mir so, als würde ich meinen Führerschein mitten im Urknall machen.
    Von Teheran bis Afghanistan waren es dann noch mal tausend bis tausendfünfhundert Kilometer, aber unasphaltiert. Die vier neuen Lektionen:
     
Was tun, wenn Treibsand nach dir greift?
Fahren unter dem Einfluß von Drogen.
Fahren ohne Bremse im Gebirge.
Autoritätsanmaßung gegenüber einem

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