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Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs

Titel: Der Jesus vom Sexshop: Stories von unterwegs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helge Timmerberg
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Max. Er fragte nach meinem Führerschein.
    Wenn ich heute das Foto in meinem Reisepaß betrachte, mit dem ich damals unterwegs gewesen bin, dann sehe ich einen Siebzehnjährigen, der so dämlich aus der Wäsche schaut, daß es mir graut. Aber das Foto wurde vor dieser Reise gemacht. Mit dem Mann, der in Meschhad der Staatsgewalt zu trotzen begann, hatte der Knabe nichts gemein. Ich war weg, weit, weit weg von dem Haus, in dem meine Mutter schlief. Und ich hatte lichte Momente. Ich tat so, als verstünde ich ihn nicht.
    «Driving license!» sagte er noch einmal.
    «No speak English!» sagte ich.
    Wir bekamen schnell Publikum, der Bus stand abfahrbereit vor der Werkstatt, die am Rande des großen Basars lag, und da war viel los. Perser, Türken, Usbeken, Afghanen, schmutzige Männer, verschleierte Damen, Kinder, Alte, Kranke und Arme wollten wissen, was hier Sache war und was draus wurde, denn a) hatten sie nichts Besseres zu tun, und b) kam es nicht alle Tage vor, daß die Geduld eines stiernackigen Straßenpolizisten an einem blonden Hippie zerbrach.
    «Driving license!!» schrie er und fuchtelte mit den Armen und zeigte mal auf den Bus und mal auf mich. Ich konnte mich nur wiederholen. «No speak English», sagte ich. Er besann sich. Er kramte in den Taschen seiner Uniform. Er fand seinen Führerschein. Er hielt ihn mir vor das Gesicht, er zeigte ihn dem Publikum, und er plapperte dabei ständig auf mich ein. Den Text kennen wir schon. «Driving license!!»
    Ich verstand ihn noch immer nicht und wollte ihn nicht verstehen, aber es war nicht zu übersehen, daß die Zeit gekommen war zu handeln. Der Mann begann Drohungen zu formulieren. Mit der Linken hielt er seinen Führerschein hoch, mit der Rechten faßte er sich an die Brust. Text: «Me, my driving license.» Dann zeigte er auf den Bus. Text: «Me, I drive.» Und zeigte auf mich. Text: «No driving license. No drive!»
    Ich sprach eingangs dieser Szene von hellen Momenten. Dieser hier war einer. Ich nahm dem Mann einfach seinen Führerschein aus der Hand, ging, ihn hoch über dem Kopf wedelnd, zum Bus und stieg ein. Der verdutzte Polizist folgte mir, ebenso das Publikum. Natürlich paßten nicht alle rein, darum versammelten sie sich vor der Windschutzscheibe und vor der Tür. Ich knallte den Führerschein auf den Fahrersitz und redete auf das Stück Papier ein und konnte plötzlich Englisch und wurde lauter und begann zu schreien (für die Zuhörer in den hinteren Reihen). «Drive!» befahl ich dem Führerschein. Hörte er mich nicht? Verstand er mich nicht? Wollte er mich nicht verstehen? «Drive!» schrie ich noch mal und noch mal. Keine Reaktion. Ich nahm das Dokument vom Fahrersitz, zeigte es wieder dem Publikum und schüttelte den Kopf. «Driving license no drive», sagte ich, und man kann sich denken, wie es weiterging. Ich gab das Papier dem Polizisten zurück, setzte mich hinters Steuer, warf mit der einen Hand den Motor an und ballerte die andere auf die Hupe.
    «I drive!»
    Da ließen sie mich fahren.
     
    Es schien, daß mein Schutzengel abgeflattert war. Wohin, weiß ich nicht. Vielleicht gibt es Schutzengel-Urlaubsparadiese. Oder schutzengelfreie Zonen. Vielleicht gibt es auch für menschliche Augen gänzlich unsichtbare Schutzengel-Stoppschilder und Schutzengel-Umleitungstafeln, auf denen «Schutzengel – links abbiegen» steht. Geradeaus jedenfalls ging’s zur Grenzstation Islam Qala.
    Das war nicht Gottes Lieblingsfleckchen auf Erden. Ein alter Ventilator hielt Staub und Fliegen auf Trab, und der Offizier in dieser Grenzstation Marke Lehmbau sah aus, als habe er schon eine Menge Fingernägel mit der Zange ausgerissen, weil Ausreisevisen verfallen waren. Er wollte meine Gaspistole sehen. Geht nicht, sagte ich. Das muß gehen, sagte er. Deine Kollegen haben sie mir bei der Einreise in den Iran abgenommen, sagte ich. Und genau das steht da auch in meinem Paß geschrieben. Das steht da nicht im Paß geschrieben, sagte er.
    Papier des Anstoßes war die Seite sieben meines Reisepasses, auf der, von fünf Stempeln umgeben, etwas in einer Schrift zu lesen war, die mich inzwischen ein bißchen an Sanskrit erinnert und ein bißchen an Arabisch, aber damals sah sie für mich so aus, als habe ein Vögelchen ein bißchen in den Paß geschissen, quasi auf Farsi (iranische Amtssprache). Hier wurde offenbar unter iranischen Offizieren eine Nachricht ausgetauscht, von der ich aus irgendeinem Grund glaubte, daß sie für mich sprach. Ich war jung und dumm wie

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