Die Lilie von Florenz
1. KAPITEL
Ein Dorf in der Toskana, Sommer 1742
âIch hab keine Zeit für Spielereien, Cristina.â
âAch komm schon, sei doch nicht so! Uns erwischt schon niemand. Wer soll denn schon hierher kommen? Das hier ist ein kleines, schmutziges Gästezimmer. Du kannst ja in alle Ecken schauen, wenn dich das beruhigt!â
Allegra erstarrte, als sie die Stimmen auf dem Flur hörte. Sie hatte Zuflucht gesucht in dem kleinen Gästezimmer am Ende des Gangs im Landhaus ihres Vaters. Die Unruhe im Haus zerrte an ihren Nerven. Ãberall waren Fremde. Zur Mittagsstunde waren ein Dutzend Kutschen aus Florenz eingetroffen â und sie hatten nicht nur die Gäste der Feier am Abend gebracht, sondern auch Köche und Dienstmädchen, die sich dem Regiment der Köchin Rosaline unterwarfen. Der wichtigste Gast aber war der Conte Matteo del Pirandelli.
Ihr Verlobter. Heute Abend sollten die Verlobungsfeierlichkeiten stattfinden.
Leise erhob Allegra sich vom Bett. Schritte näherten sich, eine Frau kicherte. Dann wurde die Tür aufgestoÃen. Sie erstarrte und sah sich gehetzt um: auÃer dem Bett und einem Paravent war das Zimmer leer.
Ohne nachzudenken, eilte Allegra zum Paravent und kniete sich dahinter auf den Boden. Keinen Moment zu früh, denn schon betrat eine blonde Frau rückwärts den Raum.
Als Allegra durch einen Spalt des Paravents spähte, stockte ihr der Atem. Die blonde Frau zog Conte Matteo del Pirandelli hinter sich ins Zimmer. Was suchten die beiden hier?
âStell dich doch nicht so an!â Die Frau, die der Conte Cristina genannt hatte, legte ihre Arme um seine Hüfte und schmiegte sich an ihn. Ihre Lippen berührten seinen Hals und seine Wangen. Als sie versuchte, ihn auf den Mund zu küssen, drehte Conte Matteo den Kopf und befreite sich aus ihren Armen. Er trat einen Schritt beiseite.
âDu scheinst zu vergessen, wo wir hier sind.â
âNein, das vergesse ich nicht!â Cristina lieà sich aufs Bett fallen und zog einen Schmollmund. âAber es ist ja jetzt schon sterbenslangweilig hier, und ich dachte, ein bisschen Abwechslung könnte dir nicht schaden.â
Allegra lauschte zunehmend beunruhigt. Was ging da vor sich? Sie wagte es nicht, erneut durch den Spalt im Paravent zu schauen, da sie fürchtete, sie könnte entdeckt werden.
Oh, das war eine so peinliche Situation! Ihr Verlobter Matteo del Pirandelli, den sie erst heute Mittag hatte kennenlernen dürfen, war in ein privates Gespräch mit einer anderen Frau vertieft â und sie wurde unfreiwillig Zeugin dieser Unterhaltung.
Kurz überlegte sie, ob sie einfach aufstehen und sich bemerkbar machen sollte.
Aber dann hörte sie, wie der Conte wieder sprach.
âDas ist wirklich ein Witzâ, sagte er abfällig. Allegra wagte nun doch, einen Blick durch den Spalt des Paravents zu werfen. Der Conte stand an den Bettpfosten gelehnt. Geradezu lässig wirkte er auf sie. âDas Haus ist klein und der Ballsaal so winzig, dass wir kaum alle hineinpassen werden.â
âDu hast gesagt, es wird eine hübsche Landpartie. Es war deine Entscheidung, die Verlobung hier drauÃen zu feiern. Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du daheim in deinem Palazzo feiern sollen. Aber auf mich hörst du ja nicht.â Cristina klang gekränkt.
Allegra traute ihren Ohren nicht. Diese fremde Frau redete, als wäre sie mit dem Conte durchaus vertraut. Waren sie Freunde? Oder gab es zwischen ihnen ⦠mehr?
âIch hatte meine Gründeâ, sagte Conte Matteo.
âAch, und was sollten das für Gründe sein?â Cristina kicherte. âWolltest du einfach mal sehen, wie Bauern leben?â
Allegra ballte die Fäuste. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte dieser Frau ihre Meinung gesagt. Was wusste sie schon über das Leben in dem kleinen toskanischen Dorf?
Dieses Landhaus hatte schon immer der Familie gehört. Es war Teil der Mitgift ihrer Mutter gewesen, und nach ihrem Tod war ihr Vater mit Allegra und Luigi hierher gezogen. Sie hatten Florenz hinter sich gelassen. Dreizehn Jahre war das inzwischen her, und seitdem hatte Allegra das Leben auf dem Land lieben gelernt. Nach der Hochzeit würde sie natürlich nach Florenz zurückkehren und dort an der Seite von Conte Matteo leben. Aber darüber wollte sie jetzt lieber nicht nachdenken.
âUnd überhaupt â willst du wirklich dieses verhuschte kleine
Weitere Kostenlose Bücher