Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
werden können, so trifft ebenfalls zu, daß die Figuren mitzutragen oder garzu büßen haben, was die Autoren im Privatleben erleiden. Schon Ripley’s Game, der dritte Roman der Serie, wirkt düster, verschattet, dem Gedanken an den Tod näher als die beiden Vorgänger. Patricia Highsmith beginnt das Buch im Februar 1971, wenige Wochen nach ihrem fünfzigsten Geburtstag. Wieviel Arbeit sie in ihrem Leben auch hinter sich gebracht haben mag (bis dahin vierzehn Romane und einiges mehr), in aktuellen Krisen zählt bei ihr die ungetane Arbeit: als Druckmittel, Rechtfertigung und einziger Trost.
Mit fünfzig scheint die Schriftstellerin angreifbarer zu sein als in früheren Jahren. Sie spürt das Alter, hat das Scheitern einiger Partnerschaften erlebt und registriert Krankheit oder Tod ihrer wenigen Angehörigen. In ihrer eigenen Generation vermerkt sie schwindenden Idealismus. Erst wenige Monate zuvor ist sie von Montmachoux bei Fontainebleau in die achtzehn Kilometer entfernte Ortschaft Moncourt umgezogen. Wohin sie auch schaut, auf den nicht perfekten Garten, in Zimmer, in denen noch nackte Glühbirnen baumeln, die Unzufriedenheit nagt an ihr. Nur ihre stoische Arbeitsethik – eines der lebenslang wiederkehrenden Themen ihrer Tage- und Notizbücher – bewahrt sie davor, sich vollständig dem Trübsinn zu überlassen. »Niemals innehalten, um sich das Ergebnis anzusehen«, schreibt sie am 15. Mai 1971. »Das Ergebnis kommt von ganz allein.« Mehr als ein Jahr später, im August 1972, sinniert sie über die äußere Erscheinung der Dinge und findet sie hochsymbolisch: »Mein französisches Haus ist wie mein Leben und mein Körper. Der Garten stellt Arbeit dar, sehr harte Arbeit, die niemals vollkommen oder beendet ist, und in meinen Augen gibt es kaum einen Tag im Jahr, an dem ich sagen kann: ›Alles sieht schön aus.‹ Im Gegenteil, es bricht mir das Kreuz, und die Befriedigung liegt in der Arbeit, nicht im Ergebnis. Das Haus repräsentiert den Körper, der ständig im Begriff ist zusammenzubrechen, und ich versuche ständig, ihn zu reparieren, dabei weiß ich ja, daß es eines Tages hoffnungslos sein wird und er in den Staub sinkt.«
Die Romane dieser verhangenen siebziger Jahre heißen: Lösegeld für einen Hund, ein Buch über Gewalt im New Yorker low life, die sich ausbreitet wie ein Virus. Ripley’s Game, die Auseinandersetzung mit verrinnender Lebenszeit und einer Krankheit zum Tode. Ediths Tagebuch, die Geschichte einer alternden, verlassenen Künstlerin, die in ihre private Wahnwelt flieht, bevor ein Unfall ihr Leben auslöscht. Und Der Junge, der Ripley folgte, ein Buch über die Unmöglichkeit, einen Vatermord wegzuwaschen und der eigenen Schuld zu entkommen. Oder darüber, wie Tom Ripley zum Ersatzvater wird (und Héloïse ein wenig zur Ersatzmama). Oder wie ein tatkräftiger Männerverein einen Sechzehnjährigen aus einer lebensgefährlichen Lage befreit, ohne seine Seele mit zu retten. Alles davon trifft zu, doch nichts wäre vollständig ohne den Hinweis auf den tragischen Ausgang. Einmal ist Tom Ripley gerade noch zur Stelle, als Frank Pierson sich umbringen will. Beim zweitenmal kommt er zu spät.
Das Motiv des Vatermords – eine ausgesprochen seltene Spezies im Highsmith-Universum – schlägt von dem Roman Der Junge, der Ripley folgte einen Bogen von genau dreißig Jahren zurück, nämlich bis zu dem Debütwerk Zwei Fremde im Zug, mit dem die Karriere der Schriftstellerin 1950 glanzvoll begann. Dort plant Charles Bruno, der junge, plappernde, fahrige Säufer, seinen Vater mit einem Mord »überkreuz« aus dem Weg räumen zu lassen. Vielsagend an diesem Vatermörder und Muttersöhnchen sind nicht nur die Attribute homosexueller Liebesverzweiflung, die Bruno in der Ästhetik des Romans mit einer Gloriole der Unschuld umgeben, sondern auch der erschütternde Detailrealismus seines Elends als Trinker. Patricia Highsmith hatte die schrecklichen Folgen des Alkoholismus dicht vor Augen, als sie sich in den vierziger Jahren auf dem luxuriösen Anwesen der Eltern ihrer Freundin Virginia (»Ginnie«) in Kennebunkport aufhielt. Der körperliche Zusammenbruch Brunos im Roman ist ziemlich genau einer Beschreibung Ginnies in Patricia Highsmiths frühen Tagebüchern nachgebildet.
Zu jener Zeit führte die Fünfundzwanzigjährige ihre Aufzeichnungen noch auf deutsch, der Sprache ihrer Vorfahren väterlicherseits, in einem fehlerhaften Idiom von eigentümlicher Literarizität. »Das Tisch wunderschön
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