Der Junge, der Ripley folgte (German Edition)
dort drinnen womöglich ein winziges Bücherregal bauten, nur aus Sägemehl und Spucke, ein kleines Denkmal ihrer technischen Fertigkeiten und ihres Überlebenswillens? Tom mußte laut loslachen. Verlor er etwa den Verstand?
Aus der Ecke des Koffers nahm er den Berliner Bären, flauschte sacht sein Fell auf und setzte ihn hinten auf seinen Schreibtisch, gegen ein paar Wörterbücher gelehnt. Der kleine Teddy war zum Sitzen gemacht; seine Beine ließen sich nicht so verbiegen, daß er stehen konnte. Die glänzenden Augen schauten Tom ebenso unschuldig-fröhlich an wie damals in Berlin. Tom lächelte zurück, er dachte an die »3 Würfe 1 Mark«, die Frank den Bären eingebracht hatten. »Für den Rest deines Leben hast du ein gutes Zuhause gefunden«, sagte er zu dem Teddy.
Er würde duschen, auf dem Bett liegen und seine restliche Post lesen, dachte Tom. Versuchen, wieder zum normalen Zeitgefühl zurückzufinden: zwanzig vor drei, französische Zeit. Sicher würden sie Frank heute zu Grabe tragen, und er hatte keine Lust, sich auszurechnen, wann das sein würde, weil Zeit für den Jungen nicht mehr wichtig war.
Anhang
Nachwort
Zeit ihres Lebens war Patricia Highsmith, was ihren Marktwert an der literarischen Börse betraf, in der Gattung »Thriller«, »Suspense« oder »Kriminalroman« gefangen. Das Korsett hat ihr wohl ebenso geschadet wie genützt; sie selbstjedenfalls akzeptierte dessen Enge ohne Weinerlichkeit. Der Nachteil der Kriminalautorin bestand darin, geringere Vorschüsse, oft winzige Rezensionen und nie den Nobelpreis zu erhalten, zu schweigen von dem rauhen Umgang, den sich besonders amerikanische Verlage mit ihren Büchern herausnahmen. Ein grelles Beispiel ist Patricia Highsmiths siebzehnter (!) Roman Ediths Tagebuch, den Alfred A. Knopf mit der Begründung ablehnte, er sei weder als Thriller noch als Literatur verkäuflich, ein anderes der mehrfach umgeschriebene, erstmals in Großbritannien erschienene Roman Die zwei Gesichter des Januars (ihr neunter), den Patricia Highsmith für die amerikanische Ausgabe um gut dreißig Seiten kürzen mußte, damit er in die Programmkalkulationen des New Yorker Verlags Harper & Row paßte.
Doch es gab auch unbestreitbare Vorteile, als Suspense-Autorin zu firmieren. Highsmith-Romane zielten von Anfang an auf ein großes Publikum und wurden in Deutschland, Frankreich oder Spanien sichere Verkaufserfolge. Auch das Interesse von Filmregisseuren war garantiert, wie die illustre Reihe von Alfred Hitchock über René Clément bis zu Anthony Minghella belegt. Ein drittes Moment hat wenig Beachtung gefunden, führt aber ins Zentrum der Highsmith-Welt: Suspense fungiert als Tarnung für jedes beliebige Thema. Mit ihren Geschichten von Mord, Geistesstörung oder Flucht aus der gesellschaftlichen Normalität kehrte Patricia Highsmith ein ums andere Mal zu den Themen ihres Lehrmeisters Dostojewskij zurück. Was ihreFiguren umtreibt, ist die Angst vor einem mißglücktenLeben, die verzweifelte Suche nach Liebe und der zerstörerische Effekt persönlicher Schuld.
Nur Tom Ripley, ihre berühmteste Schöpfung, scheint vor Gewissensbissen verschont zu bleiben. Der anfangs komplexbeladene, später immer souveräner auftretende amerikanische Emporkömmling, der seine materielle Existenz dem Mord an seinem Freund Dickie Greenleaf verdankt, richtet sich dauerhaft in einem Kokon aus Betrug und Verstellung ein. Dort, in einem französischen Landhaus mit dem aparten Namen Belle Ombre, könnte man ihm bei seinen genau durchdachten Machenschaften zuschauen, seinen erlesenen Geschmack, seinen Weinkeller oder seine Fortschritte auf dem Cembalo bewundern und sich allenfalls fragen, warum ein vielfacher Mörder auf den Leser soviel Faszination ausübt. Band vier der RipleySerie gibt darauf eine überraschende Antwort. Der Gentleman-Verbrecher kommt zu sich selbst. Nicht Geldgier und schon gar nicht Mordlust, sondern Fürsorge und Freundschaft treiben die Handlung des Romans Der Junge, der Ripley folgte voran. Im selben Maß, wie sich die Beziehung zwischen Tom Ripley und dem sechzehnjährigen Frank Pierson als eigentliches Thema in den Vordergrund schiebt, verliert die Kriminalhandlung an Bedeutung. Sie nimmt Züge einer Travestie an, erfüllt die Konventionen der Gattung also nur noch mit halbem Ernst. Offen bleibt, ob die Autorin diesen Effekt beabsichtigt hat.
Sammeln wir ein paar Indizien. Tom Ripley bietet sich an, im Entführungsfall Frank Pierson die Übergabe des
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