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Der junge Häuptling

Der junge Häuptling

Titel: Der junge Häuptling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liselotte Welskopf-Henrich
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seines Zeltes zu werden.
    Natürlich nahm der Kundschafter die Einladung an. Tokei-ihto gab dem Verletzten den Arm und führte ihn zu seinem Tipi. Die Lederwände des Häuptlingszeltes trugen die Zeichnung großer Vierecke als schützendes Zauberzeichen. Tobias wurde von einem dunklen Wolfshund beschnüffelt und trat mit dem Dakota durch einen Vorhang in die Behausung ein. Er war froh, von der Menge nicht mehr gesehen zu werden.
    Ein großer dämmriger Raum umfing ihn. Es ging über weiche Decken und Felle, mit denen der Boden belegt war, und der Häuptling geleitete Tobias an der Feuerstelle vorüber. Nicht weit davon sank der Kundschafter mehr nieder, als er sich setzte. Noch ohne aufzublicken, vernahm er das Knistern, das von der Feuerstelle herdrang. Gut getrocknete Scheite knackten und knallten in den kleinen Flammen, und Tobias erinnerte sich daran, daß er im Vorbeigehen die kreisrund geschnittene flache Vertiefung gesehen hatte, in der das Feuer brannte. Es war zugleich Ofen- und Herdfeuer sowie Beleuchtung. Wenn der müde Jäger die Augenlider zu einem schmalen Schlitz öffnete, konnte er den spiegelblanken Kochkessel sehen, der an gegabelten Stöcken über dem Feuer hing. Es roch nach fettem Hundefleisch.
    Der Häuptling hatte eine Büffelhautdecke um sich geschlagen und verließ das Zelt. Er wollte nach der heißen und staubigen Jagd sein Bad im Bach nehmen. Das Murmeln des Baches, der das Zeltdorf umfloß, rief die Vorstellung von Wellen hervor, die man über schweiß- und staubbedeckte Glieder spülen lassen konnte. Chef de Loup spürte auf einmal auch den beißenden Staub auf seiner Haut und empfand die Sehnsucht, es dem Häuptling nachzutun und in den Bach zu springen. Aber er war verletzt und auf die Hilfe der anderen angewiesen.
    Während er auf die Rückkehr des Häuptlings wartete, sah er sich weiter im Zelt um. Es war wie üblich rund gebaut. Schlanke Fichtenstangen waren im Kreis aufgestellt und liefen in die Höhe, um sich an der Spitze zu treffen. Diese Stangen waren alt und hatten Tokei-ihto und seinen Vater und vielleicht schon dessen Vater heranwachsen sehen. Die Stangen trugen schwere Planen aus Büffelhaut, deren unterer Rand an kleinen, in dieErde gerammten Pflöcken befestigt war, so daß das Leder gespannt blieb. Das haltbare Büffelleder war in mühseliger Arbeit von zwei Jahren so gut gegerbt, daß es Nässe ertrug, ohne hart zu werden. Es gab Schutz gegen jedes Unwetter.
    An der Spitze des Zeltes zogen die dünnen Rauchwölkchen und der Dampf aus dem Kochkessel ab. Eine Windklappe, mit zwei außerhalb des Zeltes stehenden Stangen verbunden, sorgte dafür, daß der Rauch nicht niedergedrückt wurde. Die Luft war frisch und wohlig im Zelt. Der Kundschafter lehnte sich an die geflochtene Matte, die von einem Dreifuß herabhing und ihm Stütze auch für Kopf und Schultern gab. Es war ein Gestell, wie es für das Nachtlager benutzt zu werden pflegte, und Tobias, der seit Jahren auf kahlem Boden geschlafen hatte, empfand diese Einrichtung in seinem elenden Zustand besonders angenehm.
    Außer Tobias befanden sich noch zwei Frauen im Tipi, eine ältere und eine junge Indianerin. Sie saßen beide still im Hintergrund. Nur einmal war die Ältere herbeigekommen, um das gargekochte Hundefleisch vom Feuer abzunehmen und den Spieß aufzustellen, an demBüffelfleisch zum Rösten aufgesteckt war.
    Der Zeltschlitz öffnete sich. Tokei-ihto kehrte vom Bad zurück und begann sich sofort dem Wohl seines Gastes zu widmen. Der Kundschafter war nicht gewohnt, daß sich jemand seiner annahm, und ließ erstaunt und dankbar alles mit sich geschehen. Tokei-ihto half ihm aus seinem zerrissenen Hemd und seiner alten braunen Samthose heraus und ließ sich von den Frauen in einer Schale Bärenfett geben, das die Haut von Staub und Schweiß reinigte. Er untersuchte die Verletzung seines Gastes mit leichten Händen.
    »Es wird heilen«, sagte er, »aber Chef de Loup bedarf einer Zeltruhe von nicht weniger als einem Mond. Will er sich jetzt gleich schlafen legen?«
    Der Kundschafter machte eine abwehrende Gebärde; er war zu stolz, um seine Erschöpfung einzugestehen.
    »Dann bitte ich Chef de Loup, an dem Mahl teilzunehmen, zu dem ich einige Gäste geladen habe.«
    Tobias konnte nicht umhin zuzusagen. Der Häuptling half ihm, schon am Feuer Platz zu nehmen. Er griff eine kunstvoll in Farben gezeichnete Büffeldecke auf und legte sie dem Kundschafter um, so daß sie über die linke Schulter lief und der rechte Arm

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