Der junge Häuptling
Munition für die Besatzung der Blockhausstation, zu der die Kolonne fuhr. Das Mädchen versuchte, die Kiste wieder festzumachen, aber dazu waren ihre Hände zu schwach. Cate war auch in ihren Bewegungen durch den langen und weiten Rock, den sie nach der Mode ihrer Zeit trug, behindert. Mehr noch als in den vergangenen Tagen empfand sie selbst, daß sie sich in eine Umgebung hineingewagt hatte, für die sie nicht ausgerüstet und der sie noch nicht gewachsen war. Es schien ihr selbst nicht verwunderlich, daß sie schlecht geträumt hatte. Das Munitionskistchen, das im Wagen herumrutschte, hatte wohl ihre Angstvorstellung von dem Ungeheuer verursacht, den Traum von diesem schreckenerregend bemalten Indianer, der Cate mit seinem Messer tötete.
Das Mädchen sehnte sich nach einer beruhigenden menschlichen Stimme. Sie kroch nach vorn zu dem Kutschbock, der aus einem einfachen Brett bestand, und klopfte dem Begleitmann auf die Schulter. »Tom!«
Der Angerufene wandte den Kopf; sein eisgrauer Bart war im Sternenschimmer sichtbar. »Miss?«
»Tom, wie spät ist es? Und wo sind wir eigentlich?«
»Zehn Uhr nachts wird es sein, kleine Miss. Und wo wir sind? Nicht mehr weit vom Niobrara!«
»Hoffentlich bald auf der Blockhausstation!«
»Morgen, Fräulein Cate, morgen kommen wir dorthin. Ihr werdet doch nicht vorher noch schlappmachen?«
»Wenn ihr nur eure Kisten besser anbinden wolltet. Dann könnte ich auch besser schlafen.«
»Was? Ist schon wieder eine wandern gegangen? Der werden wir gleich helfen.«
Tom rutschte in den Wagen hinein und machte die Kiste fest. »So. Jetzt habt Ihr Ruhe. Und nun behaltet den Kopf oben! Ihr habt doch das Herz auf dem rechten Fleck!«
»Ich will meinem Vater und meinem Verlobten gewiß keine Schande machen.«
»Das hängt nicht nur vom Wollen ab. Man muß auch etwas können!«
Cate fing auf diese kritische Bemerkung hin an, darüber nachzudenken, was sie gelernt hatte. Sie war auf einer Farm in Minnesota geboren, die Mutter war früh gestorben. Die Farm war bei dem großen Indianeraufstand 1862 niedergebrannt worden, als Cate noch ein kleines Kind war. Die Großmutter war dabei umgekommen, und Cate hatte seitdem bei ihrer Tante in der Stadt gelebt. Sticken, Klavier spielen, schöne Briefe schreiben, sich korrekt anziehen und eine anspruchsvolle alte Dame den ganzen Tag umsorgen – diese Fertigkeiten, die Cate bei Tante Betty hatte lernen müssen, konnte sie hier in der Prärie alle nicht gebrauchen. Aber wenn der Vater, der in den letzten Jahren dauernd nach Grenzstationen kommandiert war, auf Besuch kam, hatte er seine Tochter zum Entsetzen von Tante Betty auch kutschieren und schießen gelehrt. Das schien zwar in der gegenwärtigen Situation nützlich, aber ein Viergespann konnte Cate doch nicht lenken, und auf einen Menschen hatte sie noch nie angelegt. Was half das Grübeln darüber? Sie mußte mit der Lage, in die sie sich begeben hatte, selbst fertig werden. In Wahrheit hätte sie ihren Entschluß auch nicht rückgängig machen wollen. Das Leben bei Tante Betty war unerträglich gewesen.
Ein Pfiff ertönte. Die Kutscher zogen die Zügel an, die Bremsen knarrten, und die lange Reihe der Wagen kam zum Stehen. Eine Stimme war im Dunkeln zu hören und befahl eine halbe Stunde Rast. Cate überlegte und entschloß sich, solange auszusteigen. Sie ließ sich von Tom aus dem Wagen helfen und tastete sich an den Maultieren und dem Wagen davor entlang zur Spitze der Kolonne. Sie tappte durch Pfützen von Tauwasser und stolperte in dem büschelweise wachsenden Gras.
Ein halblautes Gespräch von Männern, die auf dem Boden saßen, drang zu ihr. Bei den Männern standen Reitpferde, die die Köpfe gesenkt hatten und an dem Gras rupften.
»Hallo!« rief das Mädchen, etwas ärgerlich, daß man ihr nicht schon früher Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
»Cate!« antwortete eine jungenhafte Stimme, und eine uniformierte Gestalt erhob sich.
Die beiden Sprecher tasteten sich zueinander hin, bis ihre Hände sich faßten. Das Mädchen fühlte sich zu einer Stelle geleitet, an der ihr Fuß dicke Decken auf dem Boden fand. Sie ließ sich nieder.
»Eine Teufelsfahrt! Gefällt sie dir?« fragte der junge Leutnant. »Davon werden wir noch erzählen, wenn wir schon Großeltern sind!«
Cate antwortete nicht gleich. Die fremde Umgebung, in der sie sich befand, die Finsternis und die Nachwirkung ihres Angsttraumes machten sie unsicher. In der Stadt hatte sie das Selbstbewußtsein des jungen
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