1178 - Lisas Totenruf
»Nein, nein!« Der Mann wollte schreien. Daraus wurde nichts. Nur ein jämmerlich klingendes Krächzen drang aus seinem Mund, begleitet von einem lang gezogenen Schluchzen.
Der Mann, der die Waffe hielt und der auch gesprochen hatte, hieß Mario Serrano. In der Branche war er als eiskalter Hund und gnadenloser Killer bekannt. Der legte sogar seine eigenen Verwandten um, wenn es genügend Geld einbrachte.
Der zweite hieß Cesare Curzi. Wenn es besonders schmutzige Jobs zu erledigen gab, war er ebenfalls zur Stelle. Curzi und Serrano gehörten zusammen. Bei Problemen schickte man sie, und es hatte auch nie Beschwerden über sie gegeben.
Das wusste auch Dan Hilton, der kleine Mann mit der Halbglatze. Immer wieder hatte er im Schatten der Großen gestanden. Nur einmal hatte er die Chance erhalten, an das große Geld zu gelangen.
Dabei war er erwischt worden. Ausgerechnet den Wagen mit der Beute dieser beiden Hundesöhne hatte er sich unter den Nagel gerissen. Von dem Geld hatte er nicht viel gehabt. Innerhalb eines Tages hatten sie ihn gefunden und zu diesem Friedhof geschleppt.
Jetzt machte Hilton sich Vorwürfe, weil er nicht aus London verschwunden war.
Unter seinen Händen spürte er die raue Baumrinde. Der Regen hatte erst vor zwei Stunden aufgehört. Die Rinde war noch feucht und auch etwas glatt. Er roch das Laub, er roch die Erde, und eben dieser Geruch machte ihn fertig. Er ließ Vorstellungen in ihm hochsteigen, die verdammt schlimm waren.
Erde, Grab, Tod. Elendig ersticken, wenn jemand bei lebendigem Leib begraben wurde. Dieser Horror war ebenso schlimm wie der Druck der verdammten Waffe.
»He, warum sagst du nichts?«
»Kann nicht!«
»Er stinkt«, sagte Cesare Curzi und lachte widerlich schadenfroh auf.
»Das tun viele kurz vor dem Exitus.«
»Und das auf dem Friedhof.«
Beide amüsierten sich, während Dan Hilton litt. Er weinte plötzlich. Ein wahrer Tränenstrom drang aus seinen Augen. Das Schluchzen schüttelte seinen Körper durch. Wieder entleerte sich seine Blase, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.
»Das ist ja widerlich!«, sagte Curzi.
»Manche sind ebenso!«
»Los, schieß endlich!«
»Meinst du?«
Es war eine Unterhaltung zwischen den beiden, die für Dan Hilton zur Qual wurde. Sie sprachen noch weiter. Sie hatten Spaß daran, ihn zu quälen, und sie würden dann unbarmherzig handeln.
Er merkte es.
Serrano hinter ihm hatte kein Wort gesprochen. Es war trotzdem wie eine geheime Botschaft, die ihn erreichte. Kurz vor dem Tod war man eben sensibel.
Ein warmer Atemzug traf seinen Nacken. Es war das Zeichen, es war der Beweis.
»Nun ja!«, sagte Curzi noch.
Es waren die letzten Worte, die Dan Hilton in seinem vierzigjährigen Leben hörte.
Den Knall hörte er nicht. Vielleicht ein seltsames Geräusch, und dann griff der Tod zu.
Dan Hilton zuckte nach vorn und schlug mit dem Gesicht gegen die Rinde. Danach rutschte er zu Boden und blieb vor den Füßen der Killer liegen…
***
»Ja«, sagte Cesare Curzi und spie aus. »Das ist es wohl gewesen. Gratuliere, Kumpel.«
»Hör auf. Es war nötig.«
»Und es wird sich herumsprechen, dass man uns nicht bescheißt.«
Serrano nickte nachdenklich. Es war längst dunkel. Auf dem Gelände des Friedhofs liefen die Konturen ineinander und machten ihn zu einem verwaschenen Fleck. Der Regen hatte nicht nur Nässe gebracht, sondern auch eine Feuchtigkeit, die sich nicht nur am Boden hielt und nun in grauen Schwaden an die Oberfläche stieg, sodass er mit wenig Phantasie an große Leichentücher erinnerte.
Mit Besuchern war hier nicht mehr zu rechnen, und die beiden Killer suchten sich immer Orte aus, wo sie ungestört waren, wenn sie ihrem grausamen Handwerk nachgingen.
»Lassen wir ihn liegen?«, fragte Curzi.
Serrano lachte hektisch. »Willst du ihn schleppen?«
»Nein.«
»Dann bleibt er hier.« Serrano zuckte mit den Schultern. »Ist doch ein guter Platz.«
»Das stimmt.« Cesare Curzi bückte sich.
»He, was willst du?«
»Mal schauen, was er in den Taschen hat.«
Serrano schlug nur einmal zu. Curzi schrie auf. Er flog auf den Rücken und rieb seine blutende Nase.
»Bist du verrückt? Spielst du noch den Leichenfledderer?«
»Scheiße.« Curzi stand mühsam auf. »Ich wollte ihm seine Papiere wegnehmen.«
»Uninteressant. Die finden sowieso heraus, wer er ist. Und jetzt machen wir den Abflug.«
»Okay.«
Mario Serrano wartete noch, weil sein Kumpan ein Taschentuch gegen seine blutende Nase presste.
Sie befanden sich
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